„Ich möchte ein Magazin in die Hand nehmen“
Ilona Lütje ist die Chefredakteurin des Stadtmagazins Szene Hamburg. Genau wie das Magazin hat Ilona eine bewegte Biografie: Sie ist Print- und Hörfunkjournalistin, Grafikerin und Herausgeberin. Wir sprechen über lokalen Magazinjournalismus und über Themen, die in der Redaktion gefragt sind.
Du bist jetzt seit knapp zwei Jahren die Chefredakteurin der Szene Hamburg. Wie kamst du zu diesem Job?
Das hat sich so ergeben. Durch meine Arbeit als Journalistin und Herausgeberin bin ich in Hamburg sehr gut vernetzt. Als die Szene 2015 von einem neuen Verlag vor der Insolvenz gerettet wurde, hatte ich bereits ein paar Mal in der Grafik ausgeholfen. Als mir 2016 die Stelle als Chefredakteurin angeboten wurde, habe ich nicht lange überlegt. Es kam damals sehr passend, da ich mein eines Magazin Frauenblick gerade an den Zeit-Verlag verkauft hatte, ein anderes nach sieben Jahren ohnehin einstellen wollte. Ich habe mich auf die neue Herausforderung gefreut.
Wie bist du überhaupt Journalistin geworden?
Meine Eltern hatten eine kleine Tageszeitung in Schleswig-Holstein. Ich wuchs also im Verlag auf und lernte dort krabbeln. Mir war schon immer klar: Das will ich später auch machen. Diese Laufbahn wurde aber von einer kleinen Revolte gegen meine Eltern unterbrochen: Ich fing eine Ausbildung zur Bankkauffrau an.
Wie bitte?
Ja. Ganz schlechte Idee. Ich habe mich vom ersten Tag an fehl am Platz gefühlt und wollte zurück. Ich habe es dennoch durchgezogen, weiß aber nichts mehr davon. Nebenbei blieb ich die ganze Zeit über beim Schreiben und allem, was mit Zeitung machen zu tun hat. Der Weg war damals sehr klar und ich ging den Plan sehr gezielt an. Mein Volontariat absolvierte ich Anfang der 90er bei den Kieler Nachrichten. Ich war die mit Abstand jüngste Volontärin. Damals wurden Volontäre noch alle zwei Monate eingestellt – Luxuszeit für die Redaktionen!
Du bist gleichzeitig Journalistin und Grafikerin. Wie kommt das?
Während meiner Zeit in Kiel brachte ich gemeinsam mit zwei Freunden eine lokale Frauenzeitschrift heraus. Als ich nach Hamburg zog, baute ich mit womaninthecity ein Pendant für die Hansestadt auf, allerdings ohne ein Team. Also musste ich mir alles, was mit Anzeigenverkäufen, Fotografie und Grafik zu tun hat, selbst beibringen. Ich bin keine ausgebildete Grafikerin, kenne mich aber in der Materie durch „learning by doing“ aus.
Nebenbei hast du dich auch noch im Hörfunk ausbilden lassen. Wie ist das passiert?
Ich möchte einfach immer Neues ausprobieren und nicht stillstehen (lacht). Ich habe den Job gerne gemacht, weil er so anders ist als Print. Man lernt, schnell und konzentriert zu arbeiten, das möchte ich nicht missen. Aber meine Mutter sagte mir eines Tages: „Wenn du im Radio deinen Namen nicht sagen würdest, würde ich nicht wissen, dass du es bist.“ Im Hörfunk bist du zu austauschbar, im Print kannst du viel mehr einbringen.
Was ist die größte Herausforderung für ein Lokalmagazin?
Tatsächlich fix und aktuell zu sein. Durch das Internet ist die Welt wahnsinnig schnell geworden und als Monatsmagazin sind wir oft zu spät dran mit Themen. Online wird in kurzer Zeit tausendfach über etwas berichtet und wenn die Szene am Kiosk liegt, will es keiner mehr lesen. Daher schauen wir, dass wir zwar aktuell, aber auch hintergründig berichten. Über Reportagen und Porträts können wir Themen emotionaler transportieren. Wir verpassen jeder Ausgabe einen ganz eigenen Aufhänger. Das können Stadtteile sein, in denen wir nach bislang ungelesenen Geschichten recherchieren. Oder Themen, die zukunftsgerichtet sind und Platz für Ideen schaffen: Wie wollen wir leben, in welcher Stadt wollen wir leben, wie wird das Arbeitsleben dadurch beeinflusst, was müssen wir ändern? Bei diesen Themen sind wir immer wieder tief beeindruckt, welch großartige Menschen in dieser Stadt leben und was es schon alles gibt, damit sie für uns alle lebenswert ist. Das macht ein Stadtmagazin aus.
Wie viele Leser hat die Szene?
Das wissen wir nicht genau, Printmagazine werden oft von Hand zu Hand gereicht. Wir haben eine Auflage von 17.000 und circa 7000 Abonnenten. Zu Weihnachten steigt die Zahl immer, zu Neujahr sinkt sie. Der Neujahrsputz: Die Abos sind als Erstes dran. Die Szene Hamburg hat allerdings sehr treue Leser, die das Magazin oft schon seit Jahrzehnten lesen. Und verschenken es dann gern an Kinder und Enkelkinder.
Wie groß ist inzwischen euer Team?
Wenn man bedenkt, was wir neben unserem Klassiker rausbringen – Szene Hamburg Essen + Trinken, Szene Hamburg Wohnen + Leben, Szene Hamburg kauft ein, den Schietwetter-Guide und vieles mehr – wuppen wenige Leute einen Berg an Arbeit. Wir konnten aber etwas aufstocken und sind jetzt sechs festangestellte Redakteure, 5 feste Freie, die die Ressorts leiten, und jede Menge freie Autoren. Ab Mai 2018 bilden wir eine Volontärin aus. Es ist ein wahnsinnig tolles Team, das Hand in Hand arbeitet. Die Leute sind mir sehr ans Herz gewachsen.
Ihr arbeitet viel mit freien Autoren. Mit welchen Themen sind sie bei euch besonders willkommen?
Die meisten Themen von Freien nehmen wir fürs „Stadtleben“ und das geplante Titelthema. In allen anderen Ressorts haben die Redakteure oft einen festen Textplan und vergeben ihre Themen direkt an den für sie passenden Autoren. Was wir immer gern sehen, sind Reportagen, szenige Texte. Die Szene-Leser sind sozial und neugierig. Besonders im Ressort „Stadtleben“ sind alle Themen willkommen, die die Stadt bewegen. Alles, was mit Stadtentwicklung zu tun hat, kommt bei den Lesern sehr gut an: Hier wird ein Haus abgerissen, hier etwas Neues geplant, Bewohner die leiden, weil ein Haus schon ewig nicht renoviert wurde. Obdachlosigkeit und Flucht sind auch immer noch Themen, die bei unseren Lesern ankommen. Wir schreiben über Menschen, die sich engagieren, die sich für andere einsetzen, die zeigen, was es heißt, in einer Gemeinschaft zu leben. Das große Thema letzten Jahres war der G20-Gipfel. Das passt wie Arsch auf Topf zur Szene. Unsere Leserschaft ist richtig explodiert, wir haben das Thema mehrere Monate bearbeitet.
Wie sehen bei euch die Honorare aus?
Leider steigen sie bei uns nicht, wie auch in vielen anderen Redaktionen. Das Honorar wird je nach Aufwand individuell angepasst. Wenn jemand für eine Reportage länger unterwegs ist, ist es mit einem kurzen Interview nicht zu vergleichen. Generell geben wir drei Cent pro Zeichen, aber ich halte nicht viel von Honorarzeichen und arbeite lieber mit pauschalen Summen. Wenn ein Redakteur mehr Zeichen als vereinbart schreibt, ist es möglicherweise ein Verlust für beide Seiten, wenn der Text gekürzt werden muss, nur um ein kalkuliertes Budget einhalten zu können: Der Szene würden gute Zeilen fehlen und der Autor hat mehr Aufwand.
Die Szene gibt es seit über 40 Jahren und sie hat harte Zeiten hinter sich. Habt ihr etwas am Format verändert, damit das Magazin populärer wird?
Dass das Magazin schwere Zeiten hinter sich hat, hat nichts mit dem Produkt zu tun, sondern mit schweren Zeiten für Verlage. Die Medienkrise hat viele Magazine zum Wanken gebracht. Die Szene hatte ihren Boom vor allem in den 80er Jahren, und diese Leser halten immer noch an uns fest. Wir haben auch jüngere Leser, aber es ist schwerer, sie zu erreichen. Selbst meine Bekannten fragen manchmal: „Wie, die Szene gibt’s noch?“ Das war die größte Herausforderung: Die Szene wieder in Erinnerung zu rufen. Dafür haben wir regelmäßige Talk-Abende zu kulturellen Themen eingeführt. Außerdem veranstalten wir Konzerte in unseren Redaktionsräumen oder an besonderen Locations und übertragen sie dann über Facebook. Das sorgt für eine riesige Reichweite.
Glaubst du, die Szene wird es in fünf oder zehn Jahren noch gedruckt geben?
(voller Überzeugung) Auf jeden Fall! Eine Welt kann ohne Print gar nicht existieren. Mag vielleicht an meiner Generation liegen, aber ich möchte ein Magazin in der Hand haben. Ich möchte mich abends in die Badewanne legen und ein Magazin blättern und knittern. Mich strengt es an, immer aufs Handy zu schauen. Zumal du dort ja auch noch ständig abgelenkt wirst. Ich erwische mich morgens dabei, wie ich im Handy Links speichere. Irgendwann kommt eine Erinnerung: 37 Texte, die du noch lesen wolltest. Das stresst mich.
Wie steht ihr denn zur Digitalisierung?
Wir investieren viel Zeit in unseren Online-Auftritt. Ein schöner Auftritt ist wichtig und wir arbeiten gerade mit Hochdruck daran. Darum haben wir unsere Online-Redaktion auch ausgebaut und wahnsinnig gute Menschen dafür gefunden, die es auch schaffen, alte Print-Hasen plötzlich mitzureißen und online immer mitzudenken. Aktuelle Themen stellen wir inzwischen zuerst online und dann mit einem anderen Dreh ins Heft. Die Webseite ist eine Stütze, weil wir so viele Menschen erreichen und die Aufmerksamkeit wieder auf die Szene lenken können. Über die sozialen Medien bekommen wir in der Tat sehr viele neue Leser.
Was sollten junge Journalisten wissen, wenn sie Teil der Szene-Redaktion werden möchten?
Es ist gut, sich im Rahmen eines Praktikums kennenzulernen. Wir hatten das Glück, letztes Jahr durchgehend gute Praktikanten gehabt zu haben. Ich bin erstaunt, was der Nachwuchs heute alles kann: Sie recherchieren, schreiben, arbeiten multimedial. Sehr wichtig ist uns aber, dass jemand ins Team passt.
Hast du noch mehr Tipps für junge Journalisten?
Neugierig bleiben und vor allem – hartnäckig. Sich bewerben, Praktika machen. Wenn man unbedingt in einer Redaktion arbeiten möchte, bekommt man dort auch ein Praktikum. Und ein gut absolviertes Praktikum ist die beste Bewerbung überhaupt.
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