„Journalisten waren für mich das letzte Pack“: Jochen Metzger über seinen Traumjob
Das Design von Warteschlangen oder wie sich Gerüchte verbreiten – das sind Themen, die Jochen Metzger brennend interessieren. Der freie Journalist und Buchautor treibt sich gerne auf wissenschaftlichen Konferenzen rum, spricht mit Experten und schreibt lange Geschichten für Magazine wie Psychologie Heute. Dabei wollte Jochen Metzger nie Journalist werden. Heute sagt er: Die beste Methode für Karriereplanung ist der Zufall.
Fragen: Natalia Sadovnik und Adriana Jodlowska
Jochen, du schreibst über Wirtschaft, Psychologie und Wissenschaft – also gefühlt über alles. Dabei redet heute jeder davon, dass Journalisten sich spezialisieren müssen. Findest du diesen Tipp sinnvoll?
Natürlich. Und ich widerspreche im Übrigen der Reihenfolge eurer Aufzählung: In allererster Linie schreibe ich über Psychologie – und das vor allem für Psychologie Heute. Das sind oftmals sehr aufwendige Geschichten, für die man viele wissenschaftliche Studien lesen muss. Das kann man aber nur, wenn man sich spezialisiert hat, sonst versteht man kein Wort. Man weiß auch gar nicht, wonach man suchen sollte. Man muss die Theorien kennen, mit dem Fach-Englisch klarkommen, möglichst etwas von Statistik verstehen. Dafür braucht man ein bisschen Übung, was wiederum Zeit kostet. Deshalb schreibe ich heute über viele Dinge nicht mehr, über die ich früher geschrieben habe. Keine aktuelle Politik mehr. Kein Sport. Keine Plattenbesprechungen. Keine Restaurantkritiken. Weg damit! Wenn man als freier Journalist überleben will, sollte man von irgendeiner Sache mehr, am besten viel mehr verstehen als die meisten anderen Menschen. Und Spezialisierung ist ein guter Weg, um das zu erreichen.
Spezialisierung bedeutet allerdings auch, sich auf etwas beschränken zu müssen. Du selbst aber hast fünf Fächer studiert …
… tatsächlich waren es sogar noch ein paar mehr. Ich habe mich in jede Veranstaltung reingemogelt, die mich interessiert hat. Sogar in eine Veranstaltung über das Bürgerliche Gesetzbuch, ein ganzes Semester lang. Das ist übrigens ein literarisch stark unterschätztes Werk. Ich kann die Lektüre nur jedem empfehlen. Aber, ach, das war die Zeit vor der Bologna-Reform, die Uni von heute ist nicht mehr die Institution, die ich in den 1990er Jahren kennengelernt habe.
…und du schreibst für ganz verschiedene Formate: Psychologie Heute, P.M. oder Für Sie.
Ja, das stimmt. Als Student habe ich einmal ein Seminar über den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz besucht. Ich habe vielleicht vier oder fünf Sätze kapiert, der Rest war mir zu hoch. Trotzdem habe ich dort etwas gelernt, das ich in meinem Leben nicht mehr vergessen werde: Leibniz wusste, dass intellektuelle Vielfalt gleichbedeutend ist mit Lebensqualität. Wenn ihn etwas interessiert hat, dann hat er sich damit befasst. Das fand ich klasse. Und auch wenn ich gerade einen Lobgesang auf die Spezialisierung von mir gegeben habe: Für mich muss auch immer Raum und Zeit dafür sein, so einem Impuls nachgeben zu können. Dinge zu machen, auf die ich einfach Bock habe. In den vergangenen Jahren habe ich mich zum Beispiel verstärkt damit befasst, wie das Internet die Art verändert, in der Menschen miteinander kommunizieren. Wie sie Verbindungen knüpfen, aber auch, wie sie um Freunde trauern, die gestorben sind. Das ist alles wahnsinnig aufregend.
Auch eine Form von Spezialisierung.
Richtig: Ne Menge Zeug gelesen und sich für viele Dinge interessiert zu haben. Zum Beispiel fürs Schlangestehen. Das fasziniert mich seit Jahren. Wie designt man eine Warteschlange so, dass die Leute hinterher glücklich nach Hause gehen? Darüber habe ich gerade ein Stück für das Wirtschaftsmagazin Brand Eins geschrieben. Solche Geschichten machen mich total glücklich. Aber man muss auch zugeben: Vor 20 Jahren hätte ich solche Sachen noch nicht in derselben Zeit schreiben können. Die Informationen waren damals noch weit weniger zugänglich.
„Heute kommt man oft mit Müll davon. Für junge Journalisten eine große Gefahr“
Es gab kein Google.
Genau. Heute kann im Grunde jeder in kürzester Zeit einen Text erstellen, der für Laien zumindest nicht komplett bescheuert aussieht. Und manchmal denke ich: Für junge Journalisten wie euch ist das eine große Gefahr. Weil man eben auch mit Müll noch irgendwie davonkommt. Ganz bitter wird es, wenn man sich die Perspektive der jungen Leser ansieht. Es gibt da diese Stanford-Studie, laut der Schüler und Stundeten kaum in der Lage sind, eine sauber recherchierte Geschichte von bezahltem PR-Bullshit zu unterscheiden. Naja. Vielleicht war das auch schon immer so.
So gesehen lernen wir nicht für unsere Zielgruppe zu schreiben, sondern damit unsere Kollegen wissen, dass wir schreiben können.
Ist das so? Da bin ich mir nicht so sicher. Mein Sohn ist 17 und guckt gerne Serien. Game of Thrones, Breaking Bad, das Übliche. Und er sagt: „Deutsche Serien sind Scheiße, die kann man sich nicht ansehen.“ Wenn ich frage, woran das liegt, sagt er: „Keine Ahnung, ich sehe es einfach.“ Und meine Hoffnung ist, dass es mit dem Journalismus ähnlich läuft: Die Leute können vielleicht nicht immer sagen, warum einige Geschichten etwas bei ihnen bewirken. Aber manchmal merken sie womöglich doch einen Unterschied.
In deinem Artikel über „Planned Happenstance“, also glückliche Zufälle, schreibst du: Nicht eine Karriere war so geplant, wie sie verlaufen ist. Wie war das bei dir?
Ich bin froh, dass ihr gerade diese Geschichte ansprecht. Planned Happenstance ist ja ein Ansatz in der Berufs- und Karriereberatung. Ich bin vor ein paar Jahren durch eine Freundin aus Schweden damit in Berührung gekommen – das war eine Offenbarung. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass der Grundgedanke hinter Planned Happenstance genau meine Geschichte erzählt. Ich wollte nämlich nie Journalist werden, sondern Professor an der Uni. Journalisten waren für mich das letzte Pack, eingebildete Aufschneider und Wichtigtuer.
Und was ist passiert?
Ich saß als Student mit meiner kleinen Tochter zu Hause, als plötzlich das Telefon klingelte, eine Redakteurin der Taz Hamburg sich meldete und fragte, ob ich einen Monat später Zeit hätte, bei ihnen ein Praktikum zu machen. Das war einigermaßen ulkig – die übliche Wartezeit für so ein Praktikum lag bei etwa zwei Jahren. Und ich hatte mich nicht einmal beworben! Sie hat die Sache dann schnell aufgelöst: Das Praktikum war eigentlich für einen Freund von mir bestimmt, der inzwischen aber anderswo sein Volontariat angefangen hatte. Er hat der Taz dann einfach meine Nummer gegeben, als Trostpreis, sozusagen. Ich fand das ganz witzig, hab aber trotzdem abgesagt, weil ich in besagtem Zeitraum auf meine Tochter aufpassen musste. Fünf Minuten später hat die Redakteurin noch einmal angerufen und gefragt, ob’s im Sommer vielleicht besser passen würde. Da hatte ich Zeit und dann hab ich gedacht: Scheiß drauf, ich mach das jetzt einfach. Naja. Und am Ende des ersten Tages hab ich gewusst: Das ist der beste Job, den ich mir überhaupt vorstellen kann.
Und wie ging es weiter?
Ich habe damals in Oldenburg gewohnt und nach dem Praktikum angefangen, für das Stadtmagazin Diabolo zu schreiben, außerdem für ein Uni-Magazin und die regionale Tageszeitung. Irgendwann hab ich dann in Hamburg ein Volontariat beim Bauerverlag bekommen, wo mich anschließend die TV Hören und Sehen als Redakteur übernommen hat. Neben dem TV- und Radioprogramm bestand das Heft noch aus einem sogenannten Mantelteil. Da gab es Reportagen über exotische Inseln, ein bisschen Politik, Psychologie, Gesundheit und allerhand Erbauliches. Eine umtriebige Redaktion war das, in der auch immer wieder neue und zum Teil ganz erfolgreiche Hefte entwickelt wurden. In meinen letzten Jahren war ich dort Ressortleiter. Tja, und irgendwann habe ich gekündigt und mich selbstständig gemacht.
Du hast vor allem für Frauenzeitschriften und Psychologie Heute geschrieben.
Ja, das war eine Art Mischkalkulation. Mir war schnell klar: Wenn die Recherche für Psychologie Heute reicht, dann reicht sie vermutlich auch für die Frauenzeitschriften. Das hat auch ganz gut geklappt. Irgendwann hat Sabine Fäth mich dann als Textchef zur Tina geholt und später auch zur Für Sie mitgenommen. Das habe ich aber immer nur in Teilzeit gemacht, weil mir das Freiberufliche zu gut gefallen hat.
„Textchef, das war vor zehn Jahren noch etwas Besonderes. Und wurde gut bezahlt“
Wie kamst du zu Psychologie Heute?
Ich hatte während meiner Zeit bei Bauer schon ein paar Interviews mit Heiko Ernst gemacht, dem damaligen Chefredakteur von Psychologie Heute. Meine ersten Themenvorschläge hat er trotzdem alle abgelehnt. Ich habe auch nur so halb ins Raster gepasst, weil ich kein Diplom-Psychologe bin, sondern Psychologie nur als Magister-Nebenfach abgeschlossen habe. Da gehörte man in den Augen der Redaktion schon ein bisschen zum Pöbel. Irgendwann hat er mir aber trotzdem eine Chance gegeben – und die Geschichte dann auch tatsächlich gekauft. Danach war ich im Boot.
Wie ist es heute?
In der Redaktion sitzen noch immer fast ausschließlich Psychologen. Jedenfalls war das ein komplett anderer Ansatz, als ich ihn bei Bauer kennengelernt habe. Viel romantischer, wenn man das so sagen kann. Die Tiefe der Recherche war und ist denen erstmal wichtiger als alles andere. Vielleicht liegt es daran, dass die Redaktion in Weinheim sitzt und nicht in Hamburg oder München. Jedenfalls machen die ihr Blatt nach ziemlich eigenen Regeln und fahren ganz gut damit, was mir sehr gefällt.
Obwohl ihnen heute viele Achtsamkeitsmagazine Konkurrenz machen.
Ach ja. Kann sein, dass es da in der Zielgruppe ein paar Überschneidungen gibt. Aber die sind vermutlich kleiner, als man denkt. Ich halte das nicht für eine große Konkurrenz.
Du arbeitest auch als freier Textchef.
Ich bin 2014 bei der Für Sie ausgestiegen, weil ich meinen ersten Roman schreiben wollte, was ich dann ja auch getan habe. In der Zeit danach haben mich Redaktionen immer mal wieder als Textchefvertretung gebucht. Solche Angebote habe ich zuletzt aber immer seltener angenommen. Überhaupt bin ich der Meinung, dass man diesen Job nicht lange machen kann, wenn man ihn gut machen will.
Warum?
Weil er die Tendenz hat, einen zum Miesepeter zu erziehen. Am Anfang fand ich die Aufgabe super, weil man sich da noch stärker über seine eigenen Standards klarwerden muss. Noch spannender fand ich den Umgang mit den Kollegen. Manche von denen waren ja schon viel länger im Geschäft als ich. Die fanden es nur bedingt witzig, wenn sie ihre Geschichte nochmal ein bisschen anders schreiben sollten.
Oh ja, das kennen wir.
Und die spannende Frage lautet: Wie kann ich das in einer Haltung machen, in der so etwas für den anderen okay ist? Naja. Manchmal hab ich das hingekriegt und manchmal nicht, da darf man sich nichts vormachen. Bei den Frauenzeitschriften gibt’s jedenfalls auf Dauer zu viele Themenfelder, die mich nicht die Bohne interessieren. Irgendwann hab ich gedacht: Noch ein Text über Smokey Eyes und ich spring aus dem Fenster! Und dann kommt noch etwas anderes dazu. Textchef, das war vor zehn Jahren noch etwas Besonderes. Man wurde gut bezahlt und war mehr oder weniger Teil der Chefredaktion. Heute zahlen viele Redaktionen einen freien Textchef wie einen freien Redakteur. Also schlecht.
Sitzt man als Textchef mit in den Redaktionskonferenzen?
Das kommt drauf an, wie die Redaktion die Position interpretiert. Bei der Für Sie war ich zum Beispiel immer mit dabei, was, glaube ich, eine gute Idee war. Das läuft natürlich ganz anders, wenn man als freier Textchef mal für eine Woche oder zwei reinkommt.
Was unterscheidet einen freien Textchef noch von einem festen?
Die Kernaufgabe ist erstmal dieselbe: Man arbeitet als Qualitätsmanager und sorgt dafür, dass aus den Texten gute Texte werden. Da geht's nicht um Grammatik oder Rechtschreibung, sondern zuallererst um die Stellen, die von den meisten Leuten gelesen werden, also Überschriften, Vorspänne, Einstiege, Zwischentitel. Manchmal geht das ganz einfach, manchmal aber auch gar nicht. Im Extremfall schreibt man die Geschichte komplett neu. Jedenfalls bist du als Freier viel schlechter mit der Redaktion, der Grafik und der Fotoredaktion vernetzt. Und natürlich auch mit der Chefredaktion. Ein fester Textchef kann notfalls eine komplette Geschichte nochmal aufrollen, wenn sie nicht funktioniert. Aber als freier Textchef, der nach ein paar Tagen wieder weg ist, kann man solche Scherze komplett vergessen. Das ganze System erzieht einen dazu, nur noch mit möglichst wenig Aufwand das Schlimmste zu verhindern. Und daran bin ich nur mäßig interessiert.
Gerade verschwinden mal wieder viele Magazine vom Markt: Neon, Cord, Intro.
Klar, und morgen und übermorgen werden noch weitere verschwinden. Trotzdem wird es noch lange einen großen Markt für Zeitschriften und Zeitungen geben. Das Ende von all dem werde ich sehr wahrscheinlich nicht miterleben. Papier ist noch immer ein gutes Medium.
„Die schwierigsten Texte haben keine 500 Seiten, sondern 500 Zeichen“
Du hast auch Bücher geschrieben. Wie unterscheidet sich die schriftstellerische Arbeit von der journalistischen?
Oh je, das ist ein weites Feld. Mein Sachbuch Alle Macht den Kindern beruht auf einem Selbstversuch. Wir haben damals unseren Kindern, als sie 13 und 10 waren, für einen Monat die gesamte Verantwortung übertragen und die Rollen mit ihnen getauscht. Das kann man vermutlich als journalistisches Format durchgehen lassen. Und bei meinem Roman Und doch ist es Heimat war die Grundlage eine journalistische Recherche. Es ging um die Zeit gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in meinem Heimatdorf in Süddeutschland. Ich habe das, was die alten Leute mir erzählt haben, lediglich fiktionalisiert und in Romanform aufgeschrieben. Unterm Strich würde ich sagen, dass die Ähnlichkeiten zum journalistischen Schreiben zumindest bei mir ziemlich groß sind. Insgesamt bin ich der Meinung, dass die meisten etwas zu viel Respekt vor Büchern haben. Andererseits werden die kurzen journalistischen Formen von vielen unterschätzt. Die schwierigsten Texte haben keine 500 Seiten, sondern 500 Zeichen. Das muss eine extrem magere, trainierte Sprache sein, wenn’s richtig gut werden soll. Um das Handwerk zu lernen, gibt es deshalb nicht Besseres. Kurze Stücke mit emotionalem Dreh – da lernt man am meisten.
Du schreibst Artikel und Bücher, berätst Verlage und machst Corporate Publishing. Gibt es etwas anderes, was du unbedingt noch machen willst?
Ich werde in Zukunft noch gezielter als bisher junge Leute coachen und ihnen helfen, eine Richtung in ihrem Studium oder in ihrem Berufsweg zu finden. Die meisten stehen total auf dem Schlauch und haben keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anstellen sollen. Dabei gibt es ein paar wunderbare Werkzeuge, mit denen man für sich selbst viel mehr Klarheit in die Sache bekommt, etwa den Planned-Happenstance-Ansatz, über den wir vorhin gesprochen haben. Im Grunde macht ihr mit UnterEins ja auch nichts anderes. Ihr lernt bei den Interviews viele einigermaßen etablierte Leute kennen und baut eine persönliche Beziehung zu ihnen auf. Das ist ein sehr gutes Beispiel für eine Karriereplanung nach dem Planned-Happenstance-Prinzip. Denn die entscheidenden Schritte in einer Berufslaufbahn geschehen nur ganz selten durch einen langfristigen Plan, sondern fast immer durch Zufälle. Man nimmt sozusagen an einer großen Verlosung teil. Und für euch ist dieser Blog ganz sicher eine Möglichkeit, die Anzahl der Glückslose in dieser Tombola zu erhöhen. Das wird sich eines Tages auszahlen, da bin ich mir ziemlich sicher.
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