Sujet-Verleger Madjid Mohit: Vielfalt in Gefahr

Madjid Mohit im Sujet Verlag

Seit rund 30 Jahren bringt der Sujet Verlag vor allem Übersetzungen aus dem globalen Süden und Osten, Exilliteratur und Lyrik heraus. Nach hunderten publizierten Büchern und mehreren Auszeichnungen kämpft der Verlag dennoch ums Überleben – kürzlich hat der Verleger Madjid Mohit via Social Media um Unterstützung gebeten. Im Gespräch mit UnterEins erzählt er, mit welchen Problemen kleine Verlage und Buchhandlungen zu kämpfen haben – und warum sie bald gänzlich verschwinden könnten.

Madjid, du hast seit der Gründung von Sujet 1996 hunderte Bücher publiziert, wurdest 2015 mit dem Hermann-Kesten-Preis des PEN und 2018 mit dem Bremer Diversity-Preis ausgezeichnet. Man könnte meinen: Läuft doch. Trotzdem hast du kürzlich dazu aufgerufen, den Verlag zu unterstützen. Weshalb ist die Lage aktuell so schwierig?

Madjid Mohit: Wirklich einfach war es noch nie. Aber seit der Pandemie hat sich vieles drastisch verändert. Zwar wurden erstmal mehr Bücher verkauft, aber profitiert haben vor allem ein paar große Onlinehändler und Großverlage. Die kleinen Verlage mussten ihr Online-Marketing intensivieren, was mit großen Kosten verbunden war. Papier, Druck und viele weitere Dinge wurden immer teurer. Die meisten Kleinverlage mussten sogar Projekte beenden, weil nicht mehr genug Geld da war. In der Pandemie wurde durch staatliche Förderungen, zum Beispiel das Programm NeustartKultur, einiges aufgefangen, aber das hatte nur einen kurzfristigen Effekt.

Was unterscheidet einen Kleinverlag von den großen Publikumsverlagen?

Die großen Verlage bedienen einen Massengeschmack. Das heißt nicht, dass sie nicht auch gute Bücher machen – aber der finanzielle Gewinn steht an erster Stelle. Ihre Programme sind oft recht einseitig. Die kleinen stehen für Vielfalt. Sie publizieren Bücher, die nicht unbedingt um aktuelle Themen kreisen oder die aus Ländern stammen, aus denen nur wenig übersetzt wird. Es gibt unzählige Lücken auf dem Buchmarkt, und diese Lücken schließen kleine Verlage ganz bewusst. Damit erreichen sie oft nur ein Nischenpublikum.

War es nicht schon immer so? Und hat doch trotzdem einigermaßen funktioniert?

Der Markt hat sich verändert.

Das heißt?

Produktions- und Vertriebskosten steigen und steigen. Die Dominanz großer Händler wie Amazon oder der Barsortimenter, also Zwischenhändler im Buchhandel, ist ein Problem. Barsortimenter nehmen heute bis zu 53% des Nettopreises. Verlagsauslieferungen nehmen etwa 14%, die Autoren erhalten etwa 10%. Beim Verlag selbst bleiben nur noch 20 bis 30%. Daraus müssen noch Druck, Lektorat, Bürokosten, Werbung und so weiter bezahlt werden, bevor überhaupt ein Gewinn anfällt. Wenn zugleich die Verkäufe sinken, bleibt zu wenig übrig, um noch wirtschaftlich arbeiten zu können. Bestellungen, die uns direkt erreichen, versenden wir versandkostenfrei. Aber auch das wird teurer – auch weil die Preise für Büchersendungen sich verdoppelt haben. Für kleine Verlage wird das alles zu einer existenziellen Bedrohung.

Deshalb sind Bücher in den letzten Jahren spürbar teurer geworden. Reichen diese Preissteigerungen nicht, um die gestiegenen Kosten aufzufangen?

Es reicht nicht ansatzweise, um die höheren Kosten zu decken. Es würde helfen, wenn Kunden und Buchhändler direkt beim Verlag bestellen. So bleibt deutlich mehr Geld beim Verlag selbst. Übrigens trifft es ja nicht nur die kleinen Verlage, sondern auch kleine, gut sortierte Buchhandlungen. Auch die haben meist Onlineshops. Hier in Bremen haben in den letzten Jahren fünf Geschäfte aufgegeben. Die Kunden kaufen im Internet, bei großen Ketten oder gebraucht. Früher gab es noch Antiquariate, auch die werden immer weniger. Obendrein gibt es Buchhändler, die die Buchpreisbindung umgehen, indem sie neue Bücher einfach als Mängelexemplare anbieten...

… was illegal ist. Wird das nicht kontrolliert?

Wer soll es denn kontrollieren?

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vielleicht? Es müsste ja auch im Interesse der Branche sein, dass einzelne nicht den Wettbewerb verzerren, oder?

Klar. Aber das viel größere Problem ist die Marktmacht der großen Ketten und Onlinehändler. Was fehlt, ist Aufklärung. Den Menschen, die Bücher kaufen und lesen, erklären, dass sie es selbst in der Hand haben. Sie können ihr Geld Konzernen geben, die ihre Marktmacht ausnutzen – oder ihre Bücher dort kaufen, wo Autoren, Übersetzer, Verlage ganz direkt etwas von haben. Wenn uns das nicht gelingt, werden in den nächsten Jahren viele kleine Verlage verschwinden. Und der Buchmarkt wird dadurch noch kommerzieller und einseitiger. Mit jedem Kleinverlag, der aufgibt, geht Vielfalt verloren.

Sprechen wir noch kurz über diese Vielfalt. Ein Schwerpunkt deiner Arbeit ist iranische Literatur. Romane, Gedichte von wichtigen iranischen Autorinnen, die es am deutschen Buchmarkt aber sehr schwer haben. Was ist deine Motivation, Bücher zu machen, von denen du weißt, dass sie keine Bestseller werden?

Gute, lesenswerte Literatur gibt es überall, in jedem Land der Welt. Einen Teil davon sichtbar zu machen, sehe ich als meine Aufgabe. Ich mag anspruchsvolle Literatur, die kulturell und gesellschaftlich etwas zu sagen hat, und wenn mich ein Buch überzeugt, mache ich es, auch wenn es nicht die großen Gewinne bringt. Vor ein paar Jahrzehnten haben das übrigens auch die großen Publikumsverlage noch gemacht. Sie haben neben ihren amerikanischen Bestsellern sogar Lyrik publiziert. Das passiert heute so gut wie gar nicht mehr. Das verlegerische Selbstverständnis ist da bei vielen einer reinen Marktorientierung gewichen, leider.

Was dazu geführt hat, dass du heute Bücher verlegst, die früher in großen Verlagen erschienen sind...

Madjid Mohit: Ja, Abbas Maroufi, zum Beispiel – oder die prägende iranische Dichterin Forugh Farrokhsad erschienen früher bei Suhrkamp – heute bei uns.

Nach welchen Kriterien wählst du die Bücher aus?

Angefangen haben wir mit Exilliteratur. Dann kamen Übersetzungen hinzu. Ich spreche heute von Luftwurzel-Literatur: Bücher von Autorinnen und Autoren, die in mehr als einem Land, einer Sprache, einer Kultur verwurzelt sind. Zum einen, weil es meiner eigenen Geschichte entspricht. Zum anderen, weil es in unserer Zeit immer wichtiger wird. Menschen werden offener, möchten mehr über die Welt lernen. Gleichzeitig wird der Rechtsextremismus wieder stark. Diese Vielfalt soll der Einfältigkeit etwas entgegensetzen. Literatur kann das besonders gut. Literatur gibt sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Lyrik, die älteste Literaturform, die sich bis heute weiterentwickelt und gerade im arabischen und persischen Sprachraum eine besondere Rolle spielt.

Du stammst aus einer Verlegerfamilie. Hat dir das, was du in Iran von deinem Vater gelernt hast, dabei geholfen, selbst Verleger zu werden?

Auf jeden Fall. Durch meinen Vater bin ich früh mit europäischer und lateinamerikanischer Literatur in persischer Übersetzung in Kontakt gekommen. Ich konnte von Anfang an nicht nur iranische, sondern Literatur aus aller Welt lesen. Diese Vielfalt begleitet mich bis heute.

So könnt Ihr den Sujet Verlag unterstützen
Hier geht’s zum Sujet Shop

Siehe auch:
Gerrit Wustmann, Weltliteratur-Aktivist: So liest Du diverser und weltoffener
Alexandra Folwarski, Wiener Flaneuse: So gründest Du ein Magazin