„So abgelegen, dass selbst die Taliban nicht hinfinden“: Vom Leben eines Reisereporters

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„Polnisch oder Deutsch?“, fragt mich Andrzej Rybak zur Begrüßung. Der Einfachheit halber, für die Transkription, führen wir das Interview auf Deutsch. Ist das Aufnahmegerät aus, plaudern wir auf Polnisch. Der Journalist spricht sechs Sprachen fließend und hat mehr als 140 Länder besucht. Hier erzählt er, wie es war, mit Pablo Escobars Bruder zu reden, spricht davon, welchen Preis er zahlt, ein reisender Reporter zu sein, und wieso er findet, dass die deutschen Medien einseitig berichten. 

 

Danke, dass wir uns einen Tag vor Ihrer Abreise treffen können. Morgen fliegen Sie für zehn Tage weg und Anfang Mai kommt die nächste Reise. Wo geht es denn hin? 

Morgen fliege ich nach Brasilien und im Mai nach Nepal. Im Juni bin ich wiederum in Mexiko.

Wow. Worum geht’s bei ihrem nächsten Projekt in Brasilien?

Pah, reden wir lieber darüber, was ich im Herbst vorhabe. (lacht) Ich werde den höchsten Berg Brasiliens, den „Pico da Neblina“, besteigen. Der ist eigentlich nicht so hoch, knapp 3000 Meter, aber das eigentliche Abenteuer ist es, erstmal dahin zu kommen. Ich werde sechs Tage durch den Urwald gehen müssen, um ihn zu erreichen. Es gibt dort keine Straßen. Ich werde wohl jeden Tag circa 15 Kilometer zurücklegen müssen.

Sie bereisen oft das Amazonas-Gebiet, in Brasilien sind Sie mehrmals im Jahr. Sie waren in vielen Ländern Afrikas, im Afghanistan, Iran oder Kanada. Was reizt Sie an diesen fernen Zielen?

Schon als Kind hatte ich Fernweh. Ich las „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ und später alle möglichen Reisebücher, die mir in die Hände gefallen sind. Brasilien liebe ich, weil die Mentalität der Menschen der unseren ähnlich ist. Sie reagieren ähnlich, denken ähnlich. Sie sind aber unbeschwerter, machen sich weniger Sorgen und sind so optimistisch. Sie stecken mich damit immer an. Das, und dazu die Schönheit der Natur, das Essen und die Musik – Brasilien hat mich eingenommen.  

Wie war es, das erste Mal dort zu sein?

Einfach wunderbar, große Klasse. Es war im Jahr 1985, und ich habe mit einem Kumpel eine richtige Abenteuer-Reise gemacht. Wir haben in Rio de Janeiro einen Kleinwagen gemietet, weil wir uns nur einen kleinen leisten konnten. Wir haben damit 12 000 Kilometer zurückgelegt.

Auf den nicht vorhandenen Straßen Brasiliens…

Dass wir damit durchgekommen sind, grenzt fast an ein Wunder. Das größte Problem stellten die Brücken dar: Damals war die Transamazônica noch nicht geteert, und viele Brücken waren nichts anderes als zwei Baumstämme, in einer Entfernung nebeneinander gelegt, die für Lastwagen gedacht war.

Oh…

Genau. Es gab Brücken, da saß ich hinterm Lenkrad und mein Freund stand vor mir und schrie: „Einen Zentimeter nach links, einen Zentimeter nach rechts.“ Beide Räder hingen zur Hälfte in der Luft und zur Hälfte waren sie auf den Baumstämmen. (lacht)

Wie finanzieren Sie Ihre Reisen? Übernehmen Verlage die Kosten?

Komplett nicht, aber je besser es einer Zeitschrift geht, desto höher sind natürlich die Budgets und desto mehr Kosten übernehmen sie. Die österreichische Zeitschrift Terra Mater, ein ähnliches Format wie die GEO bei uns, deckt die Kosten gut ab. Ende September war ich für sie in Afghanistan unterwegs. In einem so abgelegenem Gebiet, dem Wakhan-Korridor, dass selbst die Taliban nicht hinfinden. (lacht) Wer die Reisekosten noch großzügig abdeckt, ist das Magazin Mare, GEO und bei großen Geschichten der Stern.

Wie recherchieren Sie ihre Geschichten?

 Auf Recherche: Andrzej Rybak lässt sich von einem Richter des Justiz-Schiffs auf dem Amazonas „verhaften“ 

 Auf Recherche: Andrzej Rybak lässt sich von einem Richter des Justiz-Schiffs auf dem Amazonas „verhaften“ 

Über vieles stolpere ich vor Ort. Wie zum Beispiel über das Bank-Schiff, das auf dem Amazonas von Dorf zu Dorf fährt. Die Menschen haben sich überlegt, eine Bankfiliale auf dem Fluss aufzumachen. Es gibt in vielen Teilen des Amazonas-Gebiets kaum Straßen, und so kann das Schiff von Ort zu Ort fahren, und die Dorfbewohner können auf dem Schiff Geld abheben oder Kredite aufnehmen. Ähnliches Prinzip: Auf dem Amazonas-Delta schwimmt ein Justiz-Schiff. In dem Schiff sitzen ein paar Richter, fahren von Dorf zu Dorf und verhandeln dort Probleme. Inzwischen besteht meine Recherche hauptsächlich aus Lesen, Lesen und nochmal Lesen. Durch Lesereize stoße ich irgendwie immer auf eine Idee zu einer Geschichte. Danach recherchiere ich gezielt im Internet oder in Datenbanken, falls ich den Zugang habe.

 

„Leider muss ich sagen, die deutschen Medien sind nicht mehr die besten“

Was lesen Sie so, um Ideen zu generieren?

Fast ausschließlich internationale Presse. Leider muss ich sagen, die deutschen Medien sind nicht mehr die besten der Welt. Sie konzentrieren sich sehr stark auf innenpolitische Themen und nur wenige Regionen werden gut gecovered. Also Osteuropa, Russland, China. Da wo Deutschland eben politische Interessen hat. Andere Regionen werden gar nicht, oder sporadisch abgedeckt. Lateinamerika zum Beispiel. Selbst über Südasien lese ich selten, und das wird auch immer weniger. Sie erzählen, die Leserinnen und Leser interessieren solche Länder nicht. Ich denke, es liegt eher an den Kosten.

Ich denke, das Thema Afrika ist im Kommen, vielleicht wird bald darüber mehr geschrieben?

Ja, das stimmt, aber mal schauen. Die deutsche Wirtschaft ist konservativ und nicht auf risikobehaftete Investitionen bedacht. In Afrika ist sie nicht wirklich vertreten. Sie importieren, exportieren, aber eine Fabrik aufbauen, dort produzieren – das kommt nicht wirklich vor.

Haben Sie vor Ort Stringer, die Ihnen helfen an Informationen und Kontakte zu kommen?

Selten. Stringer bedeuten Geld, das macht kaum ein Verlag. Ich bin meist mit schmalen Budgets unterwegs. Ich traf Stringer von Terra Mater und Mare.

Wie hoch war das Honorar für Ihre letzte Geschichte?

Das war eine Geschichte, die im Capital erschienen ist, eine Geschichte über Nairobi, für die habe ich 1.500 Euro bekommen. Ist nicht supergut, aber auch nicht superschlecht. Es gibt Zeitschriften, die für eine ähnliche Geschichte 1.000 Euro bezahlen. GEO Saison bezahlt ein bisschen über 2.000 Euro. Bei Terra Mater verdiene ich sehr gut, also über 3.000 Euro.

Viele Journalisten reden über eine Fach-Spezialisierung. Sie schreiben aber über Motoboys, Umwelttechnologien, Zierfische oder interviewen Roberto Escobar, den Bruder von Pablo Escobar. Was für eine Art Reporter sind Sie, haben Sie eine Spezialisierung?

Oh ja… (überlegt einen Moment) Ich würde sagen, ich bin in erster Linie ein politischer Journalist, denn aus der Politik komme ich auch her. Mein Passierschein in den Journalismus waren viele Artikel über die Wende in Osteuropa. Aber heute sehe ich mich immer mehr als einen Geschichtenerzähler. Ich mag es, Geschichten für Menschen zu erzählen, die sich nicht nur für Politik interessieren, aber zum Beispiel auch dafür, ob Afrikaner in ihr Land zurückkehren oder  wie rasant der Beruf eines Motoboys in São Paulo ist.  

Glauben Sie, in Zeiten von Billigfliegern, Internet-Blogs und Backpacking können Sie noch Neues aus der Ferne zeigen? Gibt es wirklich noch die Geheimspots mit der unberührten Natur fernab vom Tourismus?

Auf jeden Fall, aber vieles möchte ich den anderen gar nicht zeigen (lacht). Wenn viele Leute irgendwo hinfahren, wird die Natur nur zerstört. Aber ich finde, die Bereitschaft zum richtigen Reisen ist zurückgegangen. In den 80-ern gab es viel mehr Backpacker als heute. Die heutige Jugend ist total verwöhnt. Sie fliegen irgendwo an einen Strand, in ein gutes Hotel, wollen schön feiern und all inclusive haben. Sie wollen nicht mehr mit wenig Geld und einem Rucksack die Welt entdecken. Ich erzähle außerdem gerne darüber, wie sich die Welt verändert. Das ist meiner Meinung nach ein wichtiges Thema für einen Reporter fernab der Heimat. Zum Beispiel schrieb ich darüber, wie sich das Leben der Indianer im Regenwald gewandelt hat.

Wie lange sind Sie in einem Jahr unterwegs und wie lange in Hamburg?

Andrzej Rybak in einer thailändischen Tracht eines im Goldenen Dreieck beheimateten Stammes

Andrzej Rybak in einer thailändischen Tracht eines im Goldenen Dreieck beheimateten Stammes

Ich würde sagen, gut halb-halb. Ich bin paar Wochen weg, komme dann für zwei, drei Wochen nach Hamburg und bin wieder weg. 

Andrzej Rybaks Handy klingelt, ein Videoanruf. Er geht lächelnd ran und switcht mühelos von Deutsch auf Portugiesisch. Auch wenn ich nichts verstehen kann, kann ich hören, dass es ein herzliches Gespräch ist. Es ist eine Freundin aus Brasilien, die sich über seinen morgigen Flug erkundigen möchte. 

Wie viele Sprachen sprechen Sie eigentlich?

Also, ich kann in vielen Sprachen lesen, aber sechs spreche ich ganz gut. Das wären … (er zählt an den Fingern ab) Polnisch, Russisch, Englisch, Deutsch, Spanisch und Portugiesisch.

Sie haben eine Familie. Wie lässt sich so ein aktives Leben mit ihr vereinbaren?

Man muss die Familie von Anfang an daran gewöhnen. (lacht) Aber im Ernst: In meinem Beruf bleibt nicht viel Zeit für Familie und sie muss tolerant sein. Ich war sehr oft in schwierigen Situationen nicht da, vor allem in den ersten Lebensjahren meiner Tochter. (Herr Rybak schaut auf den Tisch und macht eine Pause) Ich habe viele ihrer Geburtstage verpasst, das ist der Preis meiner Leidenschaft zum Reisen. Inzwischen bin ich aber nicht länger als vier Wochen weg. Früher konnten es schon Monate sein.  
 

„Irgendwann merkte ich, dass das sozialistische System mir zu viele Schranken vor die Füße wirft“

Gehen wir noch weiter in der Zeit zurück – als Sie noch ohne Frau und Kind lebten. Sie sind mit 23 Jahren nach Deutschland gezogen, das war im Jahr 1981. Aufgewachsen waren Sie in Warschau. Wie kam es dazu, dass Sie nach Deutschland zogen?  

Meine Mutter lernte einen deutschen Mann kennen, zog nach Deutschland und wollte mich gleich mitnehmen. Ich bin damals gerade aufs Gymnasium gekommen, fand es supertoll dort und wollte nicht weg. Ich bin trotzdem für zwei Monate nach Deutschland gekommen, um mich umzugucken.  Bleiben wollte ich aber nicht. Zurück in Polen habe ich mein Abitur gemacht und Auslandshandel studiert. Irgendwann merkte ich, dass das sozialistische System mir zu viele Schranken und Hindernisse vor die Füße wirft: Ich konnte nicht richtig ausreisen und nicht genug Geld verdienen, um mir in den Ferien etwas leisten zu können. Ich habe plötzlich Probleme mit den Behörden bekommen, irgendwann wollten sie mir meinen Pass nicht aushändigen. Als ich ihn endlich bekam, bin ich nach Deutschland, um meine Mutter zu besuchen. Während meines Besuchs hat der damalige General Jaruzelski das Kriegsrecht erklärt. Ich beschloss, nicht mehr nach Polen zurückzukehren. Ich hatte eh schon überlegt, zu bleiben, aber das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Als ich mit zehn Jahren nach Deutschland kam, habe ich Filme, die ich aus Polen auswendig kannte, auf Deutsch geschaut und so meine ersten Worte gelernt. Danach bekam ich in der Schule Nachhilfe, lernte dort andere Kinder kennen. Sie waren schon erwachsen. Wie verlief bei Ihnen die Integration?

Ich wollte die Sprache so schnell wie möglich lernen und habe mir alles selbst beigebracht. Ich habe sehr gemischte Gefühle, was Sprachen angeht. Natürlich ist es wichtig, die Grammatik zu kennen, aber ich mache alles so….

Lassen Sie mich raten, nach Gefühl? (lacht)

Ja, genau. (lacht) Obwohl ich erwachsen war, habe ich die Sprache auch wie ein Kind gelernt: Schaute viel TV, blätterte in Zeitungen und Zeitschriften. Anfangs habe ich wenig verstanden, dann immer mehr. Ich glaube, dadurch habe ich ein gewisses Gefühl für die Sprache entwickelt.  

Wie kamen Sie darauf, Journalist zu werden?

Ich habe schon in meiner Jugend viele tolle Orte besucht, viele Fotos gemacht und irgendwann sagten Freunde und Verwandte zu mir: „Warum versuchst du nicht, daraus eine Geschichte zu machen?“ Ich wollte ja schon immer in die Welt hinaus und dachte, in diesem Beruf wird es möglich sein. Ich studierte Völkerkunde und belegte als Nebenfach „Journalismus“.

Wie konnten Sie Kontakte in die Branche knüpfen?

Durch Zufälle. Zum Beispiel hat eine Familie aus Polen, die wir kannten, von einem Spiegel-Redakteur Care-Pakete bekommen. War nicht unüblich damals, im Kriegsrecht. Ich wurde gefragt, ob ich bei der Verständigung helfen könnte, und so habe ich den Redakteur kennengelernt. Irgendwann fragte er mich, ob ich für den Spiegel recherchieren könnte.

Und dann?

Ich habe einen Monat bei der Bild hospitiert und einen Monat beim Hamburger Abendblatt in der Sportredaktion. Als Hospitant kommt man nicht in das Politik-Ressort, was ich schade fand. (lacht) Aber es war eine coole Zeit mit einem tollen Team. Ich habe damals viel über russische Tennisspieler recherchiert und über polnische Fußballspieler geschrieben. So bin ich dort mit einem Fuß hängen geblieben. Ich habe zwei Jahre für die Sportredaktion geschrieben und dann kam die Wende in Osteuropa. Alle wollten dazu Geschichten haben. Ich bin damals neben meinem Studium jeden Tag in die Redaktion und habe irgendwas machen können. Ich schrieb für verschiedene Ressorts wie Kultur oder Politik, ich wurde nach Prag geschickt, um Geschichten zu finden. Irgendwann kam der Ressortleiter auf mich zu und bot mir ein Volontariat an. Und ich lehnte es ab.

Oh, ok?

Ja, was wollte ich denn mit einem Volontariat? Ich wusste, wie das läuft: Ich müsste paar Monate in der Lokalredaktion sitzen und über Katzen schreiben, die von Bäumen gerettet wurden. Dabei passierten gerade wichtige politische Geschichten in Osteuropa. Sachen, die die ganze Welt bewegen. Als freier Journalist konnte ich viel besser darüber schreiben. Der Mann war natürlich total perplex, er meinte, es gäbe noch niemanden, der ein Volontariat abgeschlagen hätte. Sechs Monate später bekam ich aber eine Festanstellung. Ich blieb anderthalb Jahre und schrieb überwiegend über Osteuropa, aber auch über den Irak. Im ersten Golfkrieg durfte ich zwei Wochen aus dem Irak berichten. Und das in einer Lokalzeitung! Heute passiert sowas nicht mehr.

Sie wechselten aber zum Spiegel?

Ja, ich bekam das Angebot, als für Polen und Osteuropa zuständiger Spiegel-Redakteur zu arbeiten. Ich kam genau zu der Zeit dorthin, als der Jugoslawienkrieg ausbrach. Der Ressortleiter wollte jede Woche eine Geschichte über den Balkan bringen und ich sollte immer in der Redaktion sein, damit ich gegebenenfalls schnell einen Text schreiben kann.

Und das hat Sie unruhig gemacht?

Das hat mich soooo sehr gestört. Ich wollte raus. Ich bin ein typischer Reporter, ich muss im Feld stehen. Ich bin kein Schreibtischjournalist. Ich war genervt und unglücklich. Dann kam ein Angebot von der Woche, die damals neu erschienen ist, und ich verließ den Spiegel. Dort habe ich über den ganzen Osten berichtet und lebte unter anderem drei Jahre lang als Korrespondent in Moskau. Nach den drei Jahren meldete sich der Spiegel, ob ich nicht als Warschau-Korrespondent für sie arbeiten möchte. Ich sagte zu.

 War es anders, in Polen als Journalist zu arbeiten – im Vergleich zu Deutschland?  

Ja, das war eine komische Situation. Handwerklich gab es keine Unterschiede, aber zwischenmenschlich schon. Die Polen haben von mir Sachen erwartet, die ich als Journalist nicht liefern konnte. Sie wollten, dass ich ein positives Bild von Polen zeichne. Ich aber schreibe das, was ich sehe und was die Wahrheit ist. Zumindest die Wahrheit, wie ich sie einschätzen kann. Ich bin kein Propagandist und die Tatsache, dass ich in Polen geboren bin, beeinflusst nicht meine Berichterstattung.

Sie gaben Ihnen das Gefühl, Sie wären eine Art Judas?

Genau. Habe sogar ein paar Mal gehört, ich verkaufe mich an die Deutschen. (lacht)

Sie waren auch schon in Kriegsgebieten unterwegs, wie verhält man sich dort als Journalist?

Das beste Rezept ist immer low profile. Viele Leute glauben immer noch, dass „Presse“ auf der Brust stehen zu haben, ihnen hilft und sie überall hinbringt. Bei Demos mag das stimmen, aber ansonsten ist es am besten, unsichtbar zu bleiben. Auch da, wo die Kriminalität hoch ist – einfach nicht auffallen.

Nun fallen Sie aber meist an den Orten auf, an denen Sie schreiben. Zum Beispiel in São Paulo, bei ihrer Geschichte über einen Motoboy, einen Motorrad-Postboten. Wie schaffen Sie Vertrauen und kommen an ihre Protagonisten so nah ran?

Ich versuche, Ihnen von Anfang an zu vermitteln, dass ich sie nicht betrüge, hintergehe oder etwas Schlimmes über sie schreibe. Das heißt nicht, dass ich nichts Kritisches schreibe, aber ich bleibe stets freundlich, mache hier und da einen Witz, nehme die Person vor mir ernst und höre genau zu. Der Motoboy aus São Paulo kam aus sehr armen Verhältnissen und war eine lange Zeit drogenabhängig. Aber ich habe überhaupt kein Problem mit solchen Menschen. Oft sind das welche mit einem sehr großen Herzen. Ich denke, sie merken, dass ich offen und ohne Vorurteile auf sie zugehe.

Sie schrieben auch über Roberto Escobar, den Bruder des berüchtigten Pablo Escobar. Wie behält man die Nerven bei einem Gesprächspartner mit einer solchen Vergangenheit, der immer wieder betont, wie sehr er Journalisten hasst?

Puh, das war keine angenehme Erfahrung. Roberto verdient Geld, indem er Touristen in sein Haus einlädt und mit ihnen über seinen Bruder redet. Also tat ich so, als wäre ich ein Tourist. Ich verstelle mich ungern. Am Anfang habe ich es auch mit Ehrlichkeit probiert, seine Berater angeschrieben und um ein Gespräch gebeten. Die haben aber 6.000 Euro verlangt. (lacht) Mir blieb also nicht viel übrig, als mich als Tourist zu tarnen und ihm möglichst viele Fragen zu stellen. Ich glaube, am Ende ist dem Reiseleiter etwas aufgefallen. Selbst für einen Touri stellte ich sehr viele Fragen. Ich ließ mich unterwegs absetzen und lief zurück zu Robertos Haus. Ich wollte mir die Aussicht einprägen und das Straßenschild fotografieren. Und dann sah ich, dass mir der Reiseleiter tatsächlich mit seinem Bus gefolgt ist. (lacht)

Als der Artikel erschienen ist, wollte Roberto Ihnen nicht an den Kragen? Netflix zum Beispiel hat er für die Ausstrahlung der Serie „Narcos“ verklagt.

Andrzej Rybak klettert auf einen Urwaldriesen (erschienen auf Spiegel Online) Bild: Leonide Principe

Andrzej Rybak klettert auf einen Urwaldriesen (erschienen auf Spiegel Online) Bild: Leonide Principe

Ah, der konnte mir nicht viel anhaben. Da müsste ein Gericht entscheiden, inwieweit er eine Person des öffentlichen Interesses ist, über die jeder berichten kann, egal als was er sich ausgibt.

Sie sind so oft im Amazonas-Gebiet unterwegs, warum schreiben Sie nicht mehr über Umweltthemen? Bietet sich die Region nicht hervorragend dafür an?

Ich mag lebendige und spannende Geschichten, Umwelt-Artikel sind oft sehr sachlich. Für Umweltthemen finde ich das Greenpeace Magazin gut, für die würde ich gerne mehr schreiben.

Aber?

Aber die Chemie stimmt nicht. Ich schrieb einmal eine Geschichte über einen Mann, der fünfhundert Hektar Urwald aufgebaut hat. Die Geschichte war schon fertig produziert und erschien dann doch nicht, weil dem damaligen stellvertretenden Chefredakteur ein Absatz nicht gepasst hat. Der Protagonist hat den Urwald tatsächlich aufgebaut, stellte aber Behauptungen auf, die nicht von allen Wissenschaftlern geteilt wurden. Andere wiederum lobten ihn in den Himmel und er hatte ja auch Erfolg. Der Mann war nicht „typischer Umweltschützer“ genug für das Blatt. Ein Praktiker halt, lässt sich von keinem Wissenschaftler was sagen.

Sehen Sie eine solche Vorsicht oder Skepsis auch in anderen Medien?

Ja, durchaus. Wenn jemand etwas leistet, aber keine Ausbildung auf dem Gebiet hat, dann glaubt man ihm erstmal nicht. Ich schreibe auch immer weniger über Politik, weil meine Meinungen und die vieler Chefredakteure weit auseinandergehen.
 

„Die Demokratie mit Gewalt zu exportieren geht nicht“

Inwiefern?  

Viele wollen zum Beispiel nicht verstehen, dass ein arabisches Land nur mit einem starken Herrscher funktioniert. In Libyen, wo mehrere ethnische Gruppen zusammenleben, die sich immer bekämpft haben, hat ein Gaddafi diese ausbalanciert, sodass es halbwegs ruhig war. Nachdem er getötet wurde, brach der Bürgerkrieg aus.

Aber bei einem Bürgerkrieg kämpfen die Menschen darum, dass es in ihrem Land besser wird oder nicht?

Ja, aber entsteht da tatsächlich was Besseres? Da sterben Menschen! Die Demokratie mit Gewalt zu exportieren geht nicht. Früher hatten Politiker noch Visionen, heute denken sie nur an die nächste Wahl und wie sie diese gewinnen können. Sie denken eben parteipolitisch. Auch Frau Merkel hat viele Fehler begangen. Ihr „Willkommen“ war doch sehr naiv.

Wie finden Sie die deutsche Berichterstattung zu all den Themen?

Schlecht. Genauso wie die Diskussionskultur in Deutschland. Wie es Sitte ist, muss ich mich mal gleich verteidigen: Ich bin kein Pegida-Anhänger und bin nicht für die AfD. Trotzdem: Wenn solche Sachen entstehen, wenn sich so viele Leute damit identifizieren können, dann muss man mit ihnen normal reden und sie nicht gleich als rechtsradikal abstempeln oder als „Angst- und Wutbürger“. Erst mit einer Erscheinung auseinandersetzen, dann beurteilen bitte. Als ich es einmal unter Freunden wagte, Angela Merkels Politik zu kritisieren, wurde ich gleich als Rechter beschimpft.

Kommt das vielleicht nicht daher, weil die AfD sich Aktionen und Aussagen erlaubt, die nun mal total nach Rechtsradikalismus riechen?

Sicher, ich kann an der AfD viel kritisieren, aber man sollte offen und ohne Vorurteile an die Diskussion rangehen. Ich mag auch Putin nicht, ich mag es nicht, was er aus Russland gemacht hat, aber es gibt trotzdem Sachen, die er gut gemacht hat. Das wird in den deutschen Medien aber nicht erwähnt, schon aus Prinzip nicht.

Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

Weil es in Deutschland einen Meinungs-Mainstream gibt. Der geht links ab von der Mitte. Und es gibt bestimmte Meinungen, die salonfähig sind, und andere sind es nicht. Wenn man sich die großen Medien anschaut, berichten sie alle sehr ähnlich. Vor allem bei kontroversen Themen, bei denen man merkt, es gibt auch noch ein anderes Deutschland. Da sind sie sehr introvertiert und es gibt weniger Meinungsvielfalt als früher. Bei politischen Themen finde ich den Freitag super. Er ist so realpolitisch. „Realpolitik“, das hat immer Helmut Schmidt gepredigt und für mich ist das der wichtigste Ansatz überhaupt. Wir müssen endlich lernen, dass manche Sachen machbar sind und manche nicht. Mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, macht ja keinen Sinn. Aus den machbaren Sachen das Beste rauszuholen, das ist die Devise.

Haben Sie noch Tipps für angehende Journalisten und Reporter, die in die Welt hinaus möchten?

Vor allem internationale Presse lesen. Ich finde The Guardian macht guten Journalismus. Die New York Times ist auch nicht schlecht. Und die Financial Times und The Economist.  Es ist wichtig, sich immer erst vor Ort eine Meinung zu bilden, mit vielen Menschen zu reden. 2014 war ich auf der Krim und die Menschen redeten völlig anders als das, was ich auf Twitter gelesen habe. Die ganzen neuen Medienkanäle, die ganzen Sozialen Netzwerke führen eigentlich nur zur Desinformation. Mit der Zeit entwickelt man ein Gespür, was wahr ist und was man hinterfragen muss.

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