Alexandra Folwarski: Ein Magazin für die Wiener Vorstadt

Alexandra Folwarski || Foto: Zuzanna Różańska

Alexandra Folwarski || Foto: Zuzanna Różańska

Was Alexandra nicht alles gehört hat: Bist du größenwahnsinnig? Print? Jetzt?! Aber sie war fest davon überzeugt – im August 2019 erschien die erste Print-Ausgabe des Ottakringer Flaneur, mit einer stolzen Auflage von 65.000 Exemplaren. Das Magazin, das das Wiener Stadtviertel Ottakring portraitiert, wird kostenlos an die Haushalte verschickt und liegt in Lokalen aus. In ihrem Medienatelier gibt Alexandra Tipps für angehende Magazinmacher. Ein Gespräch über die Macht roher Konzepte, Teilzeitjobs als Stabilisierungsmaßnahme und redaktionelle Unabhängigkeit.  

Lass uns direkt über das Wichtigste sprechen. Wie viel muss man zusammensparen, um ein Magazin zu gründen? 
Kommt darauf an, wie groß das werden soll. Ich habe erstmal eine Webseite gebaut, einen Instagram-Account angelegt und getestet, wie die Themen laufen. Dann habe ich die Mediadaten zusammengestellt und Werbepartner gesucht, bis ich mein Anzeigenbudget zusammen hatte und die erste Ausgabe produzieren konnte. Ich bin also den ganz wilden Startup-Weg gegangen: Das Produkt zu verkaufen, bevor es da ist. 

Und über welche Summen sprechen wir da? 
Ich brauchte für die erste Ausgabe über 20.000 Euro. Ich habe vorher eine kleine Startförderung vom Bezirk bekommen, die direkt in den Aufbau der Webseite floss. Im Moment bin ich noch nicht an dem Punkt, dass ich nur von meinem Bezirksmagazin leben könnte – aber ich kann ins Wachstum des Projekts investieren. 

Und wie bist du an die Anzeigenkunden gekommen?
Ich habe mir folgendes angeguckt: Wer sind die Akteure in dem Bezirk, wer würde als Kunde passen? Bei einem habe ich ein Jahr gebraucht, bis er mich in sein Büro gelassen hat. Ich bin mit meinem Konzept rausgegangen, bis ich an die Person geraten bin, die an meine Idee geglaubt und eine Seite im Heft gebucht hat. Das hat mir viel Aufwind gegeben und so konnte ich auch andere überzeugen. Dann ging es weiter: Pitch, Pitch, Pitch – eine sehr anstrengende Zeit. Die Druckerei hatte ich schon im Vorfeld angesprochen, Preise ausgehandelt, die Redaktion und Grafik organisiert. Und irgendwann sagte ich: Okay, es kann losgehen. 

Foto © Zuzanna Różańska

Foto © Zuzanna Różańska

Wie hast du Blattmachen gelernt?
Ich habe vor 17 Jahren begonnen, in Online-Redaktionen zu arbeiten, so habe ich quasi mein Studium finanziert. Als ich nach dem Abschluss einen Job suchte, hatte ich damals schon diesen unbedingten Wunsch, ein Magazin selber zu machen. Ich wollte wissen, wie alles funktioniert, das Handwerk lernen. Ich war erst Projektmanagerin in einem Content Marketing Verlag und habe zum ersten Mal Anzeigen verkauft. Wer aus dem Journalismus kommt, dem fällt das eher schwer. (lacht)

Kann ich bestätigen.
Ich bin auch immer noch nicht die Beste, aber das Anzeigen verkaufen kann man lernen. Dafür bin ich ein gutes Beispiel. Das habe ich ein halbes Jahr gemacht, dann war ich zwei Jahre lang Redaktions- und Produktionsleitung, habe gelernt, schnell gute Themen für Einzelpublikationen zu finden, mit den Druckereien zu arbeiten, mit der Grafik. Dann war ich knappe zwei Jahre Geschäftsführerin. 

Meist gründet man etwas, weil etwas fehlt. Das gilt auch für Magazine. Was hat dir gefehlt?
Ich wollte eine Art Community-Magazin machen. Ottakring ist für die meisten Medien eher  der Hotspot, wenn mal was schiefläuft. 

Der so oft beschworene Ausländer-, Drogen-, Kriminalitätsstadtteil? 
So hart nicht, aber es geht in die Richtung. Das wird dem Bezirk einfach nicht gerecht. Ich wollte ein Magazin, das die Leute so vorstellt, wie sie sind. Die Vielfalt und das Liebenswerte sollte inhaltlich widergespiegelt werden. Natürlich gibt es in jeder großen Stadt Bezirksmagazine, die ihre Sache gut machen und ihre Berechtigung haben. Aber mir hat das Junge darin gefehlt, das Magazinartige. Das Schöne an Magazinen ist ja, dass man mit ihnen das Tempo aus dem stressigen Alltag rausnehmen kann.

Sprich in Richtung Slow Media gehen?
Absolut. Sich mit einem Magazin hinzusetzen ist wie eine Auszeit, man hält inne, man wird nicht angestrahlt von einem batteriebetriebenen Gerät. Das Magazin erscheint bewusst alle drei Monate, obwohl wir Corona-bedingt für einige Monate pausiert haben. Alles Tagesaktuelle gibt es ja schon. Ich möchte nicht mit den aktuellen Angeboten in Konkurrenz treten, da hätte ich sowieso keine Chance, sondern ergänzend agieren. Und die Leserinnen und Leser finden es bisher auch gut so.

Neben der Selbständigkeit hast du einen Teilzeitjob.  
Ja, ich bin Kommunikationsleiterin im Klangforum Wien, ein Ensemble für neue klassische Musik. Das lässt sich sehr gut verbinden. Der Job macht Freude und gibt mir Ruhe nachzudenken. Ich würde das immer empfehlen: Bevor du 20.000 Euro vorschießt, such dir einen Teilzeitjob. Und noch was: Stell dir ein gutes Team zusammen – und gib so früh wie möglich ab. Ab Ausgabe zwei habe ich die Chefredaktion abgegeben, so leid es mir auch tat. Die Tätigkeit finde ich spannend. Im Fokus habe ich aber das Wachstum meines Unternehmens. Da muss man solche Entscheidungen fällen.

Wie groß ist dein Team? 
Insgesamt sind wir um die zehn Leute, alle frei: Journalisten, Grafiker, Fotografen und zwei Leute, die mir bei den Anzeigen helfen. Bald kommt die erste Praktikantin, die mir beim Newsletter-Marketing hilft.  

Ottakringer Flaneur | © Zuzanna Różańska

Ottakringer Flaneur | © Zuzanna Różańska

Wie du sagst, sind Druck, Distribution und Produktion die drei größten Kostenpunkte. Am häufigsten sparen Magazine bei der Produktion, wie Fotografen und Journalisten nur allzu gut wissen.
Absolut. Eins meiner Hauptziele ist es, die Leute adäquat zu bezahlen. In der ersten Ausgabe habe ich das meiste geschrieben, weil ich auch einfach sparen musste. Ab der zweiten Ausgabe ist ein Satz vergleichbar mit dem einer guten Tageszeitung fest einkalkuliert. Ich halte nichts davon, günstig zu arbeiten. Lieber publiziere ich längere Hintergrundartikel, die gut recherchiert und geschrieben sind.

Wie wählst du die Geschichten aus?
Mir ist es wichtig, die Diversität des Bezirks widerzuspiegeln. Ich suche immer nach dem Wow-Effekt oder dem Aha-Echt?-Effekt, etwa bei einer Geschichte über das jüdische Ottakring oder wenn wir einen Club portraitieren, der mal da stand, wo heute ein Kinder-Spielplatz ist – das österreichische Äquivalent zum Hamburger Starclub, aber in der Wiener Vorstadt.  

Gerade Lokalmagazine sind meist auf Anzeigengeld angewiesen und oft erwarten Unternehmen dafür redaktionelle Gefälligkeitsberichte. Wie viel Unabhängigkeit kann man sich da bewahren? 
Ja, das ist ein Problem. Oft ruft man potenzielle Anzeigenkunden an und hört: Wollen Sie nicht mal eine Story über uns machen oder unsere Produkte vorstellen? Ich hätte viel früher meine finanzielle Planungssicherheit, wenn ich sagen würde: Ja, okay, machen wir.  

Wie gehst du damit um?
Ich sage ganz klar: Ich bin nicht die Redaktion, ich spreche über Anzeigen. Da wird PR-Arbeit mit Marketing verwechselt und das stört mich sehr. Manchmal heißt es: Artikel oder keine Anzeige. Aber mein Medium soll kein Anzeigenblatt werden. Leser merken so was. Außerdem gibt es dazu ein ganz klares Gesetz: Wo Geld fließt, das muss deutlich gekennzeichnet werden. Es ist aber immer wieder eine Diskussion mit vielen Marketingverantwortlichen.

Noch ein Tipp zum Abschluss? 
Testen, testen, testen und nicht aufgeben. Man braucht null Euro, um einen Instagram-Account zu starten und Themen auszuprobieren. Webseiten sind günstig. Und ganz wichtig: Viel Feedback holen. Auch wenn jemand drei Mal Nein sagt, heißt es noch gar nichts! Immer fragen: Was muss ich tun, damit es für Sie relevant wird – und lange genug telefonieren, bis man an wen Nettes gerät, der dich versteht. Sich trauen. Das ist der schwierigste Punkt, das unfertige Produkt pitchen. Der Rest ist easy.  

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Siehe auch:
„Ich fange mit dem Lebensgefühl an“: Das ABC des Magazinmachens von York Pijahn
Femtastics, eine Erfolgsgeschichte: Wie arbeitet ein modernes Online-Magazin? 
„Ich möchte ein Magazin in die Hand nehmen“: Ilona Lütje über lokalen Magazinjournalismus