Diana Ezerex: Konzerte im Knast
Die Singer-Songwriterin Diana Ezerex wollte schon immer einen Blick hinter Gittern werfen. Deshalb tritt sie regelmäßig im Gefängnis auf. Zudem studiert die 26-Jährige Kulturvermittlung in Karlsruhe und arbeitet mit Jugendlichen. Sie erzählt UnterEins, was sie bei den Gefängnis-Konzerten bereits erlebt hat, spricht über ihren Traum von einer Kulturhalle und den Alltag zwischen Musik, Studium und Jugendarbeit.
Du trittst seit zwei Jahren in Gefängnissen auf. Wie kam das zustande?
Inzwischen sogar seit drei, ich habe bereits in 14 Gefängnissen gespielt. Das ist ja so eine Parallelwelt, zu der man normalerweise keinen Zugang hat und die für mich sehr verlockend war. Ich hatte mich immer gefragt: Wie leben diese Menschen da? Dann hat eine Freundin im Rahmen ihres Psychologie-Studiums ein Gefängnis-Praktikum gemacht und mir kam die Idee mit den Konzerten. Ich habe direkt Gefängnisse angeschrieben – und so fing das an.
Und warum gerade Gefängnis?
Ich habe schon immer Jugendarbeit gemacht, erst über die Kirchen, dann im FSJ und später habe ich in einem offenen Jugendclub gearbeitet. Dabei habe ich einige kennengelernt, die schon gesessen haben. Für mich war das so fern, ich bin im Rückblick gesehen echt in einer Blase aufgewachsen: Gymnasium, Volleyball-Verein, Debating-AG … Irgendwie wollte ich dann unbedingt auf legale Weise ins Gefängnis kommen (lacht).
Wie kann man sich so ein Konzert vorstellen?
Im Voraus ist es mit etwas Organisation verbunden, aber auch nicht viel mehr als üblich. Meist muss ich vorher ein Führungszeugnis und Ausweisbild hinschicken, für einen Background-Check. Wer vorbestraft ist, darf nämlich nicht rein. Trotzdem ist es wie ein normales Konzert, nur mit mehr Polizisten vor Ort.
Und wie reagieren die Gefangenen, wenn du vor ihnen spielst?
Meistens recht emotional. Nur einmal, in einem Jugendgefängnis in der Schweiz, da waren sie recht trocken. Mir wurde gesagt, so sind die Schweizer halt (lacht). Aber meist werden sowohl die Männer als auch die Frauen emotional. Ich erzähle ja auch sehr persönliche Geschichten beim Konzert.
Sprichst du viel zwischen den Songs?
Oh ja, ich rede immer ganz viel. Ich singe Englisch und ich spiele keine typischen Lovesongs, sondern es geht um Fragen wie: Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Welche Haltung habe ich? Wie sieht die Gesellschaft aus? Ich will, dass beim Publikum möglichst viel ankommt und deswegen erzähle ich viel, damit die Insass*innen zumindest ein bisschen was damit anfangen können. Meist wird es wirklich emotional und ich bin jedes Mal überrascht, dass sie mit meiner Story was anfangen können, obwohl ich vergleichbar behütet aufgewachsen bin. Das Wissen, teilweise bei Schwerverbrechern etwas zu bewegen – oder wenn so ein Riesentyp meine Hand nimmt und unter Tränen sagt: „Dieses Konzert werde ich für immer in Erinnerung behalten!“ – das ist schon abgefahren.
Das kann ich mir vorstellen.
Wenn ich dann so was sage wie: Schau nach vorne, mach’ das Beste aus der Situation, denke ich natürlich, ich hab leicht reden, ich sitze ja nicht hier. Ich frage mich oft, ob sie nicht genau das denken. Aber das Feedback danach ist eben, dass es sie doch berührt und etwas auslöst.
Wie war das erste Mal im Gefängnis?
Das erste Gefängnis war ein Jugendknast in Neustrelitz. Die Riesenschleuse, durch die ich musste – das eine Tor hinter mir zu, das andere vor mir auf – das war schon eindrücklich. Das Gefängnis kam mir aber gleichzeitig vor wie eine Jugendherberge, nur mit Stacheldraht.
Welche Momente haben dich noch beeindruckt?
Einmal war das Publikum in einzelne Häuser aufgeteilt. Das war mein erstes Männergefängnis. Später haben mir die Beamtinnen verraten: Haus A waren Sexualstraftäter und Drogen, Haus B Sexual- und Gewaltverbrecher, Haus C für die Lebenslänglichen und Haus D für Neulinge. Zum Glück habe ich das erst danach erfahren, sonst hätte ich nur auf Haus C gestarrt.
Ein anderer Moment war in einem Jugendgefängnis, da ist mir einer aufgefallen, der so gar nicht ins Setting reingepasst hat: Ein Blonder mit Harry-Potter-Brille, saß ultragerade da, kaum eine Regung im Gesicht, während alle anderen Faxen gemacht haben. Nach dem Konzert wartete er, bis alle weg waren, und sagte, er hat seit langem wieder zum ersten Mal Freude gespürt. Da dachte ich: Jetzt kann ich auch sterben. (lacht)
Unterscheiden sich die Menschen denn im Hinblick auf ihre Reaktionen beim Konzert?
Wo ich einen Unterschied merke ist zwischen normaler und Untersuchungshaft. U-Haft ist deutlich emotionaler. Ich erkläre mir das mit der Ungewissheit – die Leute wissen nicht, wie lange sie dort sind, wie lange sie ihre Kinder nicht sehen, manchmal sind sie ja auch unschuldig. Da schwebt viel Hoffnung, Angst, Wut, Trauer und Verzweiflung in der Luft schweben und das alles zusammen mit der Musik ist … krass. Ich hatte einmal einen direkten Vergleich zwischen normaler Haft und U-Haft – ich hatte noch nie so ein emotionales Konzert gehabt. Da wurden Taschentücher rumgereicht. Ich sagte noch zu mir selbst: Guck bloß nicht ins Publikum und dann habe ich leider doch kurz hochgeschaut – und dann war’s auch für mich vorbei. Meine Mama war auch da, sie war auch am Heulen.
Wie ist es, mit den Inhaftierten zu sprechen? Erzählen sie dir auch von ihren Straftaten?
Meistens nicht. Nur einmal wollte mir jemand erzählen, es sei alles bloß ein Missverständnis, aber das konnte ich angesichts seiner Rhetorik nicht so recht glauben (lacht). Nein, es geht meist um generelle Dinge, um Musik, oft auch darum, was sie machen wollen, wenn sie wieder rauskommen. An ein Gespräch erinnere ich mich besonders: Ein paar Frauen meinten, sie haben Schiss vor dieser Schnelle draußen. Das kennt man ja schon, wenn man vom Urlaub nachhause kommt, wie muss das erst sein, wenn man zehn oder zwanzig Jahre einen geregelten Ablauf hat: Frühstück, Abendessen, Auslauf, womöglich sogar in einer idyllischen und leisen Umgebung – ein Gefängnis war zum Beispiel in einem alten Kloster – und dann kommt man raus und alles ist wahnsinnig schnell, die Autos rasen, überall klingelt etwas.
Nicht gerade gutes Feedback über unsere Lebensart als Gesellschaft.
Ne. Einige fühlen sich wohler im Gefängnis, weil da alles strukturiert ist und sie oft aus nicht gerade strukturierten Verhältnissen kommen und jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen – da kann ich nachvollziehen, wenn jemand sagt, im Knast gehts mir besser.
Bekommst du für deinen Auftritt eine Gage oder sind die Konzerte ehrenamtlich?
Gage würde ich das nicht nennen, eher Aufwandsentschädigung. Wenn ich alles zusammenrechne, komme ich ungefähr auf eine rote Null. Mal gibt es ein bisschen mehr Budget, mal weniger, mal gar keins. Ich mache das eher so, wenn ich eh vor Ort bin, schreibe ich dort Gefängnisse an, dann müssen sie mir keine Reisekosten zahlen.
Deine Instagram-Bio sagt: confused songwriter & poet. Warum bist du confused?
Ich glaube nicht, dass mich das von anderen Singer-Songwritern abhebt: Ich denke im Schreibprozess nicht nach – es fließt einfach. Und dann kann ich mich oft nicht erinnern, wie etwas entstand. Diese kreativen Prozesse finde ich confusing. Und ich bin immer auf der Suche nach Themen, die einen Unterschied machen, die angesprochen werden müssen: Wo kommen die Leute her? Wieso haben sie nicht gelernt, Probleme ohne Gewalt zu lösen? Wie kamen sie in ihre Situation? Das möchte ich erzählen, auch wenn ich merke, dass ich sie zwar kennenlerne und ihre Stories höre, mir das dennoch nicht vorstellen kann. Aber ich will diese Geschichten erzählen, damit man darüber nachdenkt, sich vielleicht einsetzt. Es ist ein Zwiespalt: Darf ich diese Geschichten überhaupt erzählen? Ich merke das auch bei der ganzen BLM-Thematik – sagen das andere nicht viel besser? Ich bin da gerne vorsichtig, weil ich nicht jemandem was in den Mund legen möchte.
Inspirieren dich also die Begegnungen in den Gefängnissen zu deiner Musik?
Das auf jeden Fall. Ich glaube schon, dass meine Songs von den Menschen geprägt sind, die ich kennengelernt habe. Da ich immer recht viel unterwegs bin, sind das auch ganz schön viele. Ich finde es auch immer wieder spannend, Geschichten von anderen zu erzählen und mich dann darin wiederzufinden, das sind ganz besondere Momente, auch im Songwriting-Prozess.
Du hast früher im Schulchor gesungen, aber dich nicht getraut, ein Solo zu singen – und hattest generell Probleme mit dem Selbstbewusstsein. Wie hast du das überwunden?
Gute Frage. Ich hatte schon immer einen Struggle mit Selbstbewusstsein. Manchmal hadere ich damit, zumindest ein bisschen zu feiern, was ich mache, mir zu sagen: Hey, ich weiß, dass ich gute Songs schreibe und gut singe. Ich kann also nicht sagen, dass ich es richtig überwunden habe. Aber nach und nach, durch das Feedback von den richtigen Leuten, da habe ich gemerkt: Vielleicht kann ich wirklich was.
Du bist Autodidaktin, richtig?
Ich hatte Musikunterricht, habe sieben Jahre lang Blockflöte und später Saxophon gespielt. Klavier und Gitarre habe ich mir selbst beigebracht.
Du arbeitest Teilzeit, studierst und trittst noch abends und an den Wochenenden mit deiner Band auf. Ganz schön viel.
Das stimmt. Mein Hauptfokus liegt auf der Musik, aber ich will diese Vielfalt in meinem Tagesablauf behalten. Meine Mama hat immer Wert darauf gelegt, dass wir Schule, Ehrenamt, Sport und Musik gemacht haben. Diese vier Bereiche ziehen sich bis heute durch mein Leben. Gerade mache ich ein Teilzeit-Praktikum bei Kulturagenten, die künstlerische Projekte an Schulen veranstalten. An einer Schule gebe ich ein Songwriting-Workshop, an einer anderen gestalten wir einen Container zu einem Probe- und Recording-Raum. Eigentlich träume ich von einer riesigen Kulturhalle, wo verschiedene Kunstformen zusammenkommen: Theater, Oper, Musicals, Konzerte, wo Jugendliche Workshops bei Designern machen können, wo es Spaces für Floristen, für Mode gibt, ein Café, ein Angebot für Obdachlose, dass einmal im Monat ein Zahnarzt oder ein Friseur kommt und es eine 24/7-Dusche gibt. Das ist bisher nur eine Vision, die ich in meiner Masterarbeit nächstes Jahr konkretisieren werde.
Hattest du nie den Anspruch, nur von deiner Musik zu leben?
Der Gedanke kam lange gar nicht erst auf, ich dachte, ich bin eh nicht gut genug. Erst seit ein paar Jahren wünsche ich mir, dass es richtig abgeht. Ich mache deswegen aber nicht weniger nebenher. Ich arbeite an meinem ersten Album, will damit auf Tour gehen und überlege gerade, ob ich mit einem Label zusammenarbeiten will oder nicht.
Wie bekommst du alles unter einen Hut?
Tatsächlich hätte ich gerade ganz gern auch mal zwei Tage Urlaub.
Wie bescheiden.
Stimmt (lacht). Aber mit gutem Zeit-Management geht alles. Natürlich ist es auch eine Frage der Disziplin. Aber ich werde oft gefragt, ob ich je schlafe – und ja, ich schlafe sehr viel und auch sehr tief. Auch beim Zugfahren schlafe ich einfach direkt ein. Das hilft wohl am meisten.
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