„Das eigene Profil zu schärfen ist wichtig“

Gerrit_Wustmann_Journalist

Gerrit Wustmann ist freier Journalist und Schriftsteller aus Köln. Er schreibt vor allem über Politik mit Schwerpunkten Türkei und Iran sowie über Literatur. Via Skype hat er uns erzählt, wie viel man als freier Journalist verdienen kann und warum sich eine Spezialisierung lohnt. 

Gerrit, wie wurdest du freier Journalist? 

Ich habe vor über zehn Jahren angefangen, für Zeitungen und Nachrichtenagenturen zu arbeiten. Ich habe damals Politik- und Islamwissenschaften studiert, war politisch interessiert. Das Studium habe ich irgendwann abgebrochen und nur noch als freier Journalist gearbeitet, weil ich gesehen habe: Es läuft. Und es ist ein Beruf, den ich liebe.

Wer waren deine ersten Auftraggeber, und wie kamst du an die? 

Gerrit Wustmann (c) Hellen Pass

Gerrit Wustmann (c) Hellen Pass

Am Anfang habe ich für die DDP geschrieben, eine Presseagentur, die es nicht mehr gibt. Die Beiträge sind im Kölner Stadtanzeiger, im Domradio oder den Aachener Nachrichten erschienen. Ganz wichtig war am Anfang das Nachrichtenmagazin Telepolis von Heise, für das ich seitdem schreibe. Ich habe ihnen ein Interview über das Thema der Demokratisierung der Vereinten Nationen angeboten. Ich las das Magazin regelmäßig und wusste, dass die daran interessiert waren. Das wurde genommen, und dann habe ich immer wieder Themen angeboten. Anfangs habe ich auch in politikwissenschaftlichen Fachpublikationen wie Welttrends etwas veröffentlicht, ohne Honorar, aber auch das hat mich motiviert, weiterzumachen. 

Wie lange hast du gebraucht, um davon leben zu können? 

(verlässt den Tisch, was wir als ein schlechtes Zeichen deuten, kehrt jedoch zu unserer Erleichterung schnell zurück mit einer Zigarette – sehr oldschool) 

Das hat tatsächlich lange gedauert. Als ich anfing, hatte ich noch ein gut gefülltes Sparbuch von meinen Großeltern, das ich nach und nach aufgebraucht habe. Um nicht zum Amt gehen zu müssen, habe ich anfangs Bürojobs angenommen, teilweise Vollzeit. Es war eine extrem stressige Zeit, aber es wurde von Jahr zu Jahr besser. Ich arbeite aber auch als Schriftsteller und habe mehrere Bücher veröffentlicht. Ab 2009/10 haben Anfragen für bezahlte Lesungen zugenommen. Was wirklich dafür gesorgt hat, dass ich vom Journalismus leben konnte, war die Spezialisierung: Ich habe von Anfang an über Politik geschrieben, mit Schwerpunkten Iran und Türkei. Zum Thema Türkei werde ich mittlerweile auch von Redaktionen angesprochen. Ich habe da gelebt, kenne mich gut aus und habe hunderte Artikel darüber geschrieben. Wenn man sich in einem Thema einen Namen gemacht hat, kommen die Anfragen irgendwann auch von selbst. 

Wie muss man sich deinen Alltag vorstellen? 

Schwer zu beantworten: Ich habe keinen. 9-to-5 war für mich immer ein totaler Horror. Ich arbeite einerseits als freier Journalist für verschiedene Redaktionen, aber auch im Kulturbereich, und ich moderiere viel, zum Beispiel Lesungen oder Kulturveranstaltungen. Gerade habe ich mit dem Kulturamt in Köln zusammen eine Ausstellung mit Künstlern aus Istanbul und Köln organisiert. In den letzten drei Wochen hatte ich auch mal 12-Stunden-Tage, aber normalerweise ist es entspannter. Ich bin notorischer Langschläfer, stehe meist um 9 Uhr auf, trinke gemütlich einen Kaffee, lese Zeitungen, verschaffe mir in meinen Themenfeldern einen Überblick, dann arbeite ich ein paar Stündchen feste Themen ab oder eine Redaktion fragt an – oder es ist mal gar nichts und ich schaue, was gerade Interessantes passiert, und skizziere ein Thema, das ich in der Regel einer Stammredaktion anbiete. Das ist so ein typischer Schreibtisch-Tag. An anderen bin ich dann wieder mehr unterwegs, für Interviews, Vor-Ort-Termine oder Besprechungen mit Kollegen. Ich mag die Abwechslung.

Ist das typisch für freie Journalisten? 

Es gibt Kollegen, die das wie ich machen. Viele arbeiten aber auch als feste Freie für zwei oder drei Redaktionen. Ein Kollege arbeitet als fester Freier für zwei große Nachrichtenredaktionen im Rundfunk, geht darin völlig auf. Es gibt viele Optionen, wie man in dem Berufsfeld seinen Alltag gestalten kann.

Reden wir über das Geld. Viele Journalisten beschweren sich über niedrige Honorare. Wie schafft man es, als freier Journalist erfolgreich zu sein? 

Es gibt natürlich nicht die Zauberformel. Das eigene Profil zu schärfen ist wichtig: eine Spezialisierung zu einem bestimmten Thema, in dem man sich sehr gut auskennt. Gezielt ein bestimmtes Thema immer wieder Redaktionen anzubieten, hilft, sich einen Namen zu machen. Es kann Jahre dauern, bis es Früchte trägt, aber irgendwann ist es so, wie ich eben sagte: Viele wissen, der Wustmann kennt sich mit dem Thema Türkei aus, ist gut vernetzt, wenn wir was brauchen, fragen wir ihn. Wenn man von seinem Thema überzeugt ist und was zu sagen hat, was nicht alle anderen auch schon gesagt haben, lohnt es sich auch, ein Buch zu schreiben. Das wird in Redaktionen ebenfalls bemerkt. 

Und was ist mit den Honoraren – sind sie wirklich so schlimm? 

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Die Honorare sind nicht überwältigend. Es gibt Redaktionen mit mickrigen Honoraren, die es sich nicht leisten können, viel zu zahlen, und man muss selbst entscheiden, ob einem das so wichtig ist, dass man trotzdem für sie schreibt. Es gibt auch Redaktionen, die Geld haben, und trotzdem mickrige Honorare zahlen. Je nach zeitlichem Aufwand für die Recherche muss man höhere Honorare aushandeln, weil es sich sonst auf die journalistische Qualität auswirkt. Wenn ich fünf Tage für 200 bis 300 Euro recherchieren soll, kann da kein guter Text dabei rauskommen. Da bin ich nur gestresst. 

Gerade am Anfang wird man oft nicht sonderlich gut bezahlt..

Was ich beobachte: Gerade der Nachwuchs kennt den eigenen Wert nicht und akzeptiert zu oft schlechte Honorare. In der Anfangszeit, im Studium ist es noch völlig okay, aber sobald man das beruflich macht, sollte man sich orientieren, welche Honorare angemessen sind und bei Kollegen oder dem DJV nachfragen. Man hat ja nichts zu verlieren, wenn man verhandelt: Wenn die Redaktion die Story nicht nimmt, dann ist man dort nicht auf ewig verbrannt. Jeder Redaktion kommt es drauf an, eine gute Story zu kriegen. Man sollte sich nicht scheuen, es irgendwann wieder zu versuchen. Wer bei großen Redaktionen, die es sich leisten können, niedrige Honorare akzeptiert, tut nicht nur sich selbst keinen Gefallen, sondern macht allen anderen auch die Honorare kaputt.

Wie viel kann man denn so verdienen? 

Die ganze Spanne. Ich kenne Kollegen, die verdienen so gut wie nichts. Manche verdienen extrem gut. 

Was ist extrem gut?

Je nachdem, für welche Redaktionen du arbeitest, Print oder Fernsehen, und wie lange du im Job bist, kannst du theoretisch ein gutes Mittelschichtseinkommen im oberen fünfstelligen Bereich, unter Umständen auch mehr verdienen. Viele arbeiten nebenbei für PR-Agenturen, wo wesentlich besser bezahlt wird. Das habe ich auch immer wieder mal gemacht, mit einer Regel: Themen, die ich bei PR-Agenturen anfasse, fasse ich journalistisch nicht an. Ansonsten gerät man in einen Interessenkonflikt. Man muss klar sagen, die allermeisten freien Journalisten verdienen wenig. Wenn man Energie darein steckt, und jahrelang Geduld hat, kann sich das auszahlen. Aber eine Garantie darauf hat man nicht. Es ist ein sehr umkämpfter Bereich.  

Wie kommt man an Aufträge? 

Es kommt drauf an, eine gute und interessante Story zu haben. Wenn man viel liest, weiß man, welche Storys es schon gibt oder wer dauernd interviewt wird. Ein Beispiel aus meinem Arbeitsalltag: Viele werden sich an das Thema Böhmermann und das Erdogan-Gedicht letztes Jahr erinnern. Da fiel mir ein, ich kenne den Schriftsteller und Mitbegründer des größten türkischen Satiremagazins  Barış Uygur – mit dem noch niemand gesprochen hatte. Wenn du so etwas hast, einfach die Redaktionen ansprechen, und vorher schauen: Welcher Redakteur ist für so etwas zuständig? In der Redaktion anrufen und sagen: Ich habe eine Story für ihn und um E-Mail oder Telefon bitten. In wenigen Zeilen schmackhaft machen, warum die Story wichtig ist. Dann hat man schon gute Chancen, dass das funktioniert. Sonst versucht man es mit einer anderen Publikation. Anfangs wird man oft abgelehnt – nicht entmutigen lassen. 

Wird die Situation der freien Journalisten eher besser oder schlechter? 

Eher schlechter. Die Redaktionen haben Probleme: Das Anzeigengeschäft und die Printauflagen gehen zurück und kaum ein Leser ist bereit, für Online-Content zu bezahlen, weil man jahrelang daran gewöhnt war, alles kostenlos zu bekommen. Natürlich macht das die Situation schwieriger für Freie.

Was muss man noch beachten? 

Wichtig ist, sich mit anderen Journalisten und Redakteuren zu vernetzen, die zum gleichen Thema arbeiten. Zu Veranstaltungen gehen, Menschen persönlich kennenlernen. Irgendwann bleibt man im Gedächtnis. Kontakte sind sehr wichtig. In diesem Jahr fand in Köln die Demo „Muslime gegen Terrorismus“ statt. Der zuständige Redakteur bei der Wochenzeitung Der Freitag fragte einen Kollegen von mir, Achim Wagner, ob er nicht dazu was machen könne. Er war aber gerade nicht in Köln und verwies auf mich. Ich habe sehr kurzfristig eine Story geliefert, die auf Seite eins lief. Seitdem schreibe ich auch öfter für den Freitag. 

Wer dauerhaft frei arbeitet, hat Jahre, in denen man gut und Jahre, in denen man schlecht verdient. Planungssicherheit haben die wenigsten. Man muss sich selber organisieren können, sonst wird es schwer. Und: Man muss lesen. Wenn man ein Spezialthema hat, muss man tagtäglich die internationale Presse lesen, und jedes Buch, das zum Thema erscheint. Man muss wichtige Personalien einordnen können und Zusammenhänge verstehen. Wer keine Lust dazu hat, ist in dem Beruf leider falsch.

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