„Ich gab dem Chef drei Wochen Zeit. Dann bin ich gegangen“

Sportjournalist

Mirko Schneider hat weder ein Praktikum noch ein Volontariat gemacht. Der freie Journalist schreibt über Amateurfußball, vor allem für das Hamburger Abendblatt. Er erzählt von seiner ungewöhnlichen Nische und gibt Tipps für den Berufsstart. 

Mirko, dein Einstieg in den Journalismus war eher ungewöhnlich. Erzähl doch mal davon. 

Er war insofern unüblich, als ich nie Journalismus studiert, ein Praktikum oder ein Volontariat gemacht habe. Ich habe Soziologie, Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaft studiert und danach direkt frei gearbeitet. 

Wie kamst du dazu, über Amateurfußball zu schreiben? 

Mirko Schneider, (c) headshots-hamburg.com 

Mirko Schneider, (c) headshots-hamburg.com 

Ich bin St. Pauli-Fan. 2006 habe ich die Leute vom Liveticker St. Pauli kennengelernt. Es gab damals keine Liveberichte, über die Regionalliga lief wenig im Fernsehen. Deswegen war dieser Internet-Liveticker sehr wichtig für die Fans. Ich habe zuerst über die erste Mannschaft berichtet, dann hatte jemand vom Liveticker die Idee, auch über die zweite Mannschaft zu berichten. Ich habe mich freiwillig gemeldet und bin für mein erstes Spiel von St. Pauli 2 nach Heeslingen gefahren und hatte ein total skurriles Erlebnis: Beim Warmmachen wurde Musik des Radiosenders Antenne Bayern gespielt, es kamen Durchsagen wie „ein dicker Wolkenknödel entlädt sich bald über Nürnberg“. Ich hatte viel Spaß. 

Wie ging es weiter? 

Mein zweites Spiel war in Oldenburg. Da fiel das Flutlicht aus, aber der Schiri war der Meinung, man sollte trotzdem weiterspielen, obwohl man kaum was sehen konnte. Ich habe per Telefon alles weitergegeben und habe gemerkt: Amateurfußball ist geiler, authentischer, näher bei den Leuten. Noch vor dem Abschluss habe ich mich dann bei Sportzeitungen beworben. Ich war ein halbes Jahr frei beim Sportmikrofon, und dann ein halbes Jahr bei fußball Hamburg

Beides endete damit, dass du gegangen bist. Warum? 

Beim Sportmikrofon sollte ich ein Volo machen. Mir wurde der Vertrag geschickt, in dem  ganze 18 Punkte nicht so waren, wie wir besprochen hatten. Das PDF konnte ich auch nicht verändern. Dann habe ich den Vertrag komplett in Word abgetippt, die Stellen geändert und markiert. Ich sagte: Ich unterschreibe ihn gerne so und habe dem Chef drei Wochen Zeit gegeben. Danach bin ich gegangen. Das war damals ein Unding, die Kollegen meinten: Du musst dich erst drei Jahre versklaven lassen, sonst wirst du nichts. Da sagte ich: Das mache ich auf keinen Fall. 

Danach warst du bei fußball Hamburg

Ja, und da sagten sie mir nach einiger Zeit: Du bist gut, aber wir haben zu wenig Geld und müssen dein Gehalt radikal kürzen. Dabei war das schon von der Hand in den Mund leben, und ich sagte: Dann gehe ich.

Und dann kam ein Angebot vom Hamburger Abendblatt

Ich hatte schon vorher einige Artikel für das Abendblatt geschrieben. Nun wollte ich ihnen wieder ein paar Artikel verkaufen, habe aber drei Wochen lang keinen Zuständigen ans Telefon gekriegt. Dann rief mich Lutz Wöckener an, aktuell bei der Welt, damals beim Abendblatt, und sagte: Der Vizesportchef ist gegangen und wir wollten dich fragen, ob du Lust hast, Amateurfußball-Berichterstattung zu übernehmen. 

Jackpot. 

Richtig. Ich hatte bereits überlegt, den Beruf zu wechseln, weil ich meine Werte nicht verraten wollte. Dann kam das Abendblatt und ich hatte mit einem Schlag alles gewonnen. Ich hatte natürlich extremes Glück. Aber ich habe mich eben auch geweigert, mich drei Jahre lang im Praktikum und Volo scheiße behandeln zu lassen. 

Würdest du diesen Ratschlag auch anderen geben?

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Ja. Natürlich bin ich kein weltfremder Fantast. Dass man Einschnitte akzeptiert und nicht von Beginn an wie ein Superredakteur bezahlt wird, ist klar. Aber man hat das Recht auf eine menschenwürdige Bezahlung. Es gibt eine Menge Tricks, mit denen gerade kleine Zeitungen, die wenig Geld haben, das Gehalt drücken. 

Kannst du ein Beispiel nennen? 

Beispielsweise rechnen sie nur zwei Stunden Arbeitszeit für ein Fußballspiel ein: 90 Minuten Spiel, 15 Minuten Pause, 15 Minuten Pressekonferenz. Aber nehmen wir als Beispiel ein Spiel Halstenbek gegen Pinneberg. Allein die Fahrt dahin dauert anderthalb Stunden. Und wenn die Geschichte gut werden soll, dauert das Schreiben auch länger. Also sollte man mindestens rechnen: 3 Stunden Fahrt hin und zurück, 1 Stunde Schreiben, 1 Stunde vorher da sein. Aber das Schreiben gehe ja schnell, und wird deshalb nicht mitgerechnet. Das ist Schwachsinn. 

Oft hat man ja keine Wahl und akzeptiert das, was einem angeboten wird. 

Ich sehe, was aus vielen Kollegen wird, die unter solchen Bedingungen arbeiten, und dann aussteigen, weil sie daran kaputtgehen. Ich lese oft solche Ratschläge: Macht fünfzig Praktika, macht euch unentbehrlich, arbeitet 60 Stunden die Woche. Natürlich kann eine solche Strategie erfolgreich sein, bei einem vernünftigen Chef. Aber viele werden dadurch total angepasst. Und wenn sie irgendwann selbst was zu sagen haben, reproduzieren sie die Verhältnisse: „Ich habe mich drei, fünf oder sieben Jahre versklaven lassen, jetzt müssen die anderen da auch durch.“ Und dann arbeitet die nächste Generation unter denselben Bedingungen. 

Worauf sollte man noch achten? 

Man sollte sich schnell eine Perspektive aufzeigen lassen, wo es hingehen könnte. Wenn jemand rumdruckst und einen immer vertröstet – schnell abhauen. Man sollte auf den Charakter des Chefs schauen: Ist er ehrlich? Hält der sich an Absprachen? Versucht er zumindest, mir eine würdige Bezahlung zu geben? Und man sollte darauf schauen, dass ein Volontariat wirklich eine Ausbildung ist, und ein Praktikum nicht eigentlich eine feste Stelle ersetzt. Oder man nur Büroarbeit machen darf. Und was das Gehalt angeht: Das Existenzminimum in Deutschland ist Miete plus Hartz 4, das ist das Allermindeste. 

Wie viel arbeitest du im Schnitt, wie sieht dein Alltag aus? 

Ich arbeite so 25 bis 30 Stunden die Woche. Montag und Dienstag mache ich in der Regel frei und bin nur im absoluten Notfall zu erreichen. Mittwoch und Donnerstag arbeite ich 5 bis 6 Stunden am Vormittag, mache auch mal einen Abendtermin. Freitags gehts abends los, da gucke ich das erste Spiel, samstags und sonntags sind auch Spiele, da recherchiere und schreibe ich.

Und davon kann man leben? 

Davon kann man leben. Natürlich können das nicht so viele Journalisten wie vom Profifußball. Aber Bild, NDR, Abendblatt mit diversen Regionalausgaben und Mopo berichten regelmäßig über Amateurfußball, im Internet auch Fussifreunde oder transfermarkt

Dein Job bringt dich oft in heikle Situationen. Warum? 

Im Profifußball sind die Aussagen meistens sehr steril, die Leute gehen durch viele Medienschulungen. Wenn da ein Trainer oder Manager so etwas sagt wie: „Den Spieler finde ich scheiße“, ist es ein achtes Weltwunder. Im Amateurfußball sprechen Manager, Präsidenten und Spieler oft, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Manchmal sagen sie knallharte Dinge. Für diese Authentizität liebe ich den Job. Aber manchmal gerate ich in einen Zwiespalt, wenn ich merke: Jemand ist sich nicht bewusst, dass ihm seine Aussagen ernsthaft schaden können. Ein Trainer, der sich vertraglich nicht zu Vereinsangelegenheiten äußern durfte, sagte mir einmal über den Vereinspräsidenten: „Der kann eh nichts.“ Nach dem Interview habe ich ihn darauf hingewiesen, dass er Probleme bekommen könnte. Und dann haben wir die Aussage herausgenommen. 

Meistens schreibst du das aber so hin? 

Natürlich. Die Leute wissen ja, dass ich sie zitiere, und ich bin nicht deren Babysitter. Anderes Beispiel: Nach einem Spiel ging ich zu einem Spieler, von dem ich wusste, dass er gern eine bestimmte Position spielt. Ich sagte: „Ihr habt heute 5 : 0 verloren. Der Neue spielte ja deine Position. Wie findest du das?“ und hielt ihm das Band vor den Mund. Er: „Jaja, hast du gesehen, wie schlecht der war?! Der Trainer ist ja total blind!“ Ich habe gehört, er musste danach 20 Strafrunden laufen, aber da hatte ich kein schlechtes Gewissen. Alle regen sich fürchterlich auf, und nach drei Tagen ist es wieder gut. Ich habe einen guten Ruf und einen moralisch hohen Anspruch an meine Arbeit. Das hilft.  

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Was sind die Schwierigkeiten des Jobs?

Die Selbstmotivation: Es ist kein 9-to-5-Job, bei dem man immer um die gleiche Zeit zur Arbeit erscheint. Die Arbeitszeiten sind auch nicht für jeden: Am Wochenende sind Spiele. Sonntag ist mein Haupttag, denn am Montag muss die Seite stehen, da arbeite ich 10-12 Stunden: Spiel gucken, Recherchieren, Schreiben. Deswegen gehe ich samstags nicht lange aus. 

Glaubst du, das Thema Amateurfußball könnte es für dich irgendwann nicht mehr geben?

Kann gut sein, dass ich irgendwann aufhöre, aber die Berichterstattung und mein Interesse am Amateurfußball sind eher gewachsen als gesunken. Den Job könnte eher die Printkrise schwermachen: Wenn eins der großen Printblätter stirbt, wird es schwerer. Geld mit Online-Publikationen zu verdienen klappt ja noch nicht so gut.

Eine Geschichte, auf die du besonders stolz bist? 

Darauf, dass Tipico vom Markt gegangen ist. Tipico ist ein Wettanbieter, der auch für Spiele in der Oberliga Hamburg Wetten angeboten hat. 2014 gab es starke Indizien dafür, dass einige Spiele manipuliert wurden. Der Amateurfußball ist dafür viel anfälliger: Wenn ich einem Amateurspieler, der 500 im Monat verdient, 3000 Euro anbiete, damit er schlechter spielt, ist die Verlockung groß. Die mediale Beachtung ist da wesentlich kleiner als beim Profifußball. Also fingen alle zu recherchieren an: Mopo, Bild, NDR.

Und du. 

Und ich für das Abendblatt. Es gab einige Spieler, die sagten, ihnen wurden Angebote gemacht. Tipico hat jedoch behauptet, da könne man gar nicht so viel gewinnen. Dann habe ich 40 Euro von der Redaktion gekriegt, und auf ein Spiel getippt, um deren Gewinnlimit zu prüfen. Natürlich war ihre Behauptung falsch. Darüber habe ich geschrieben. Der Druck wurde größer. Zu viele Verdachtsfälle existierten. Ein Spieler soll sogar damit geprahlt haben, ein Spiel verschoben zu haben, die Staatsanwaltschaft hat ermittelt. Tipico verkündete, keine Oberligaspiele mehr anzubieten. Ein paar Wochen lang schien der Fall erledigt, und die Journalisten haben sich auf die Schulter geklopft. 

Und dann?

Anfang März 2015 machte mich ein Oberliga-Manager darauf aufmerksam, dass Tipico sein Versprechen gebrochen hatte. Er hatte Recht: Man konnte wieder auf Oberligaspiele tippen. Ich erstellte Screenshots, konfrontierte Tipico und berichtete als einziger Journalist darüber: Dann habe ich mit Tipicos Pressesprecher Dominic Sauer gesprochen, von dem nur heiße Luft kam und schrieb noch einen Artikel, der endlich Wirkung gezeigt hat.  

Dann ging Tipico endgültig vom Markt. 

Das war ein gutes Gefühl! Ungerechtigkeiten zu bekämpfen ist ein Klischeebild, das oft nicht zutrifft, aber in dem Fall traf es zu. Tipico kam nie wieder. Aber es gibt immer noch andere Wettanbieter für Oberligaspiele. Ich glaube, es wird mal wieder Zeit für eine investigative Recherche. 

Gab es auch eine Geschichte, die so richtig in die Hose ging? 

Ich erzähle dir sogar zwei. Die erste war bei einem Oberligaspiel Anfang der Saison 2010. Angeblich verpasste da jemand seinem Gegenspieler einen Kopfstoß. Der Vereinsvertreter stritt das ab, sagte sinngemäß: „Unser Spieler hat das nicht getan.“ An diesem Sonntag hatte ich allerdings mein Zeitmanagement sehr schlecht geplant und schaffte es nicht mehr, die komplette Fußballseite fürs Abendblatt richtig Korrektur zu lesen. Am nächsten Tag rief mich der Verantwortliche wutentbrannt an. Er werde mit E-Mails und Telefonanrufen bombardiert, warum er einen Spieler aus dem eigenen Verein brandmarke. Was mir einfalle, das sei eine Unverschämtheit von mir etc.

Was ist passiert? 

Der Super-Gau: Ich hatte das „nicht“ vergessen! Da stand also sinngemäß „Unser Spieler hat das getan“. Ich entschuldigte mich natürlich und in der Dienstagsausgabe wurde das Ganze richtiggestellt. Aber das lesen eben nicht alle. Nach diesem fatalen Fehler habe ich meine Zeitplanung umgestellt. Heute lese ich jeden Text zweimal Korrektur. Sicher ist sicher. 

Und das zweite Erlebnis? 

Beim Empfang des Hamburger Fußballverbandes vor einigen Jahren meldete ich der Online-Plattform Hafo.de die Sieger in den Kategorien „bester Schiedsrichter“, „bester Spieler“ und „bester Trainer“. Wir Journalisten erhielten den Zettel mit den Gewinnern schon vor der offiziellen Verkündung, damit wir unsere Texte schreiben und die Informationen an die Redaktionen durchgeben konnten. Ich sagte meinem Verbindungsmann bei Hafo.de, dass die Sieger noch nicht offiziell verkündet seien und dies noch dauern würde. Für mich hieß das ganz klar: Erst online stellen, wenn es hier offiziell gelaufen ist! 

Ich ahne Böses. 

Ja: Die Botschaft kam bei ihm nicht so an. Er stellte die Sieger sofort online. Innerhalb von Minuten war Aufruhr im mit 600 Menschen besetzten Saal. Alle konnten im Netz schon die Sieger lesen und wussten, wie der Abend weitergehen würde. Der Moderator verkündete zwar pfiffig, was im Netz steht, sei falsch. Ich ließ es auch wieder herausnehmen, aber es hatte längst die Runde gemacht: Die Veranstaltung war versaut. 

Was hast du dann gemacht? 

Ich hätte ja so tun können, als sei die Info nicht von mir gekommen. Für mich kam das aber nicht in die Tüte. Ich wollte zu meinem Fehler stehen. Also sagte ich den Kollegen, dass ich es war. Ein Kollege war Mitveranstalter und beschimpfte mich wutentbrannt. Ich konnte ihn durchaus verstehen. Ich entschuldigte mich bei ihm und ging gleich darauf zum Pressesprecher des Hamburger Fußballverbandes, bei dem ich mich ebenfalls entschuldigte. Er sagte gar nichts, rang mit sich, sah mich einige Sekunden lang an. Dann klopfte er mir auf die Schulter und ging. Bis heute finde ich, das war eine große menschliche Geste von ihm. 

Auch aus diesem Fehler habe ich gelernt: Weniger durch die Blume kommunizieren. Ich hätte sagen müssen: „Noch nicht online stellen! Ich simse dir, sobald das geht! Vorher nicht!“ Ich denke aber, dass ich an Fehlern wie diesen gewachsen bin. Und sie haben mir gezeigt: Was ich tue, hat für viele Menschen Bedeutung. Auch wenn es „nur“ um Amateurfußball geht. Ich habe also eine moralische Verantwortung für das, was ich als Journalist tue. Und mit der muss ich umgehen. 

Hast du eine Frage an Mirko? Stell sie in den Kommentaren! 

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