„Ankommen roch früher nach Tupperpartys“: Warum Neon nicht mehr funktioniert – und trotzdem fehlen wird

Foto: Jonas Feige

Foto: Jonas Feige

 

Als es noch richtig gut lief, waren es mehr als 250.000 Hefte. Zuletzt wurden „nur“ noch 60.000 verkauft – eine Zahl, über die manch andere Zeitschriften jubeln würden. Trotzdem bedeutet diese Zahl das Aus für die Neon, die heute zum letzten Mal erscheint. Wie kaum ein anderes Magazin prägte Neon viele Journalisten. Mehr noch, eine ganze Generation ist mit ihr erwachsen geworden. Warum genau das zum Problem wurde, erzählt die stellvertretende Neon-Chefredakteurin und zukünftige Head of Content bei Gruner + Jahr Lena Steeg.

 

Fragen: Adriana Jodlowska und Natalia Sadovnik

 

Die Neon erscheint am 18. Juni zum letzten Mal. Wie fühlst du dich?

Ich glaube, das ist wie beim Schlussmachen: Man weiß seit einer Weile, dass es nicht mehr gut läuft. Aber wenn die Trennung dann laut ausgesprochen wird, tut es trotzdem weh. Dennoch ist Klarheit zu haben im Zweifel immer die bessere Option. Und geholfen hat außerdem, dass wir noch ein letztes Heft machen durften. Dem ganzen Team – und das ist nicht selbstverständlich, wenn Menschen gerade erfahren haben, dass sie ihren bisherigen Job verlieren – war es wichtig, Neon würdig zu verabschieden. Mit Texten, die uns etwas bedeuten, mit einem großen Rückblick auf 15 Jahre Heftgeschichte und zwar genauso lustig, ernst, emotional und relevant, wie uns unsere Leser immer gemocht haben.

Hast du dich nicht auch mal gefragt: Wo wart ihr, liebe Leser, denn bitte in letzter Zeit?

Gerade jetzt, im Abschied, hören wir natürlich von vielen: „Ach die Neon, die ist so toll!“ Wenn man dann aber fragt „Wann hast du sie denn das letzte Mal gekauft?“, bekommt man häufig bloß betretene Blicke zur Antwort.

Haben sich die Zeiten einfach geändert?

Als das Heft 2003 von den beiden damaligen Chefredakteuren Michael Ebert und Timm Klotzek entwickelt wurde, lautete der Claim: „Eigentlich sollten wir erwachsen werden.“ Eine Auflehnung gegen Spießigkeit, eine Sehnsucht nach Eskapismus und der Wunsch, bei allen Zwängen des nicht mehr abwendbaren Älterwerdens immer noch frei, wild und jung zu bleiben. Man wollte etwas erreichen, man wollte dabei aber unter keinen Umständen endgültig ankommen, denn Ankommen roch nach Tupperpartys und Riesterrentenhölle. Diese Sehnsucht nach Unangepasstheit gibt es natürlich immer noch. Viel größer – das zeigen unter anderem unsere jüngsten Neon-Studien – aber ist der Wunsch, sich sehr wohl festzulegen. Die Zwanzig- und Dreißigjährigen sind heute viel fokussierter, was ihre Lebensplanung betrifft, sie wollen das Leben möglichst schnell in den Griff bekommen, und zwar im klassischen Sinne: schöner Job, schöne Wohnung, schöne Beziehung. Und in dieser Sehnsucht nach Angekommen- und damit letztlich ja Erwachsensein wurde Neon nicht mehr so stark gebraucht.

Du bist stellvertretende Chefredakteurin. Nicht alle wollen so viel Verantwortung tragen, vor allem in schwierigen Zeiten. Warum hast du den Job angenommen?

Na, zum einen war das eine Riesenchance für mich und das beste Angebot, das ich mir hätte wünschen können. Zum anderen finde ich es generell wichtig, dass junge Frauen Führungspositionen übernehmen und ihre Stimme nutzen. Ich habe so oft mitbekommen, wie defensiv wir in dieser Hinsicht immer noch sind. Zum Beispiel bei Interviews oder Diskussionsrunden: Fragten wir Männer als Gesprächspartner an, sagten die meisten sofort gutgelaunt zu. Frauen haderten oft erst einmal: „Das ist aber nicht ganz genau mein Forschungsgebiet“, „Ob ausgerechnet ich dazu so viel zu sagen habe?“ Ich fand das jedes Mal schade.

125 Mal Neon im Gebäude von Gruner + Jahr

125 Mal Neon im Gebäude von Gruner + Jahr

Wie war es, das Heft zu gestalten?

Am Anfang des Produktionsmonats stand ich traditionell hinten in der Grafik vor der noch leeren Wand und habe kurz einen Rappel bekommen: In drei Wochen müssen wir eine fertige Neon abgeben – und was genau schreiben wir da noch mal rein? Manchmal habe ich dann meiner Vorgängerin und Freundin Anke Helle eine Whatsapp-Nachricht geschickt und sie antwortete stets mit dem gleichen, mich sehr beruhigenden Satz: „Am Ende wird es immer ein Heft.“ Und das stimmt, es wird wirklich immer ein Heft, und in den allermeisten Fällen wurde es ein gutes, finde ich. Der Weg dahin war vor allem bei einem thematisch breit gefächerten Magazin wie Neon sehr spannend: Was stellen wir wohin, welche Geschichten, welcher Ton, welche Stimmung passen zueinander, wann muss es ernst werden, wann braucht es einen Lacher und wann eine Pause zum Durchatmen? Ich finde, wenn man Neon von vorne bis hinten durchgeblättert oder bestenfalls -gelesen hat, hatte man auch in den politisch und gesellschaftlich brisantesten Zeiten beim Zuklappen immer das Gefühl: Es ist nicht alles verloren. Die Lage ist ernst, aber das wird schon wieder.

Auf Instagram schreibst du, „Ich bin bei Neon“ zu sagen war immer etwas Besonderes für dich.

Ist es noch. „Ich bin bei Neon“ war immer mehr als „Ich bin da und da angestellt“. Mit Neon habe ich mich voll identifiziert. Nicht nur wegen des Hefts an sich, auch, weil ich dort mit so vielen ausgezeichneten Journalisten zusammenarbeiten durfte, von denen ich viel gelernt habe. Und ich war immer wieder verblüfft darüber, was wir alles machen konnten. Ich bin für zehn Tage nach Los Angeles geflogen, um darüber zu schreiben, wie es ist, alleine zu reisen. Ich habe große und mir persönlich wichtige Autoren wie Roger Willemsen, Benjamin von Stuckrad-Barre und Peter Stamm interviewt. Und wenn ich glaubte, das neue Prinz Pi-Album sei das Beste, das er je gemacht hat, und alle sollten es auf der Stelle hören, habe ich eben mit ihm ein Interview geführt. Überhaupt fand ich das an Neon immer besonders schön: Dass nicht nur kritisiert und gemahnt, sondern auch geschwärmt wurde.

Neon hat sich also dem Medien-Trend entzogen, seinen Lesern von oben herab zu sagen, was sie falsch sehen oder machen?

Ich habe das so empfunden und finde es schlau an Journalismus generell, wenn jemand sagt: Ich habe eine These und die kann ich auch belegen, dafür habe ich mit Experten gesprochen und recherchiert, aber ganz ehrlich: Wenn es für dich anders ist, dann ist es für dich anders. Diese Freiheit sollte jeder Text dem Leser lassen. Das klassische Sender-Empfänger-Modell, in dem der Journalist großspurig mitteilt und der Leser seine Worte gefälligst als Wahrheit zu empfangen hat, ist glücklicherweise veraltet.

 

„Der Trick, der gar keiner ist, ist einfach: Themenvorschläge schicken.“

 

Meinungstexte gab es in Neon trotzdem.

Und genau das ist es: Der Autor muss meinen, was er schreibt. Wenn ich einen Text lese, der auf mich nicht wahrhaftig wirkt, verliere ich das Interesse.

Würdest du denn jungen Menschen noch empfehlen, in den Journalismus zu gehen?

Es ist der schönste Beruf der Welt, welchen sollte man sonst empfehlen? Und die Branche, ja klar, die hat es nicht leicht. Aber das Problem hatte sie auch schon, als ich angefangen habe. Ich erinnere mich an einen Nachmittag während des Volontariats, wir saßen damals für einen Workshop in einem Tagungshotel in Bonn-Röttgen. Nebenan wurde gerade eine „Schlecker“-Filiale leergeräumt, weil die Kette pleite gegangen war. Vor uns stand ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung und sagte, bei Medien wie der SZ oder der Zeit bräuchten wir uns gar nicht zu bewerben. „Die kommen auf Sie zu, wenn sie Sie wollen.“

Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Habe ich mich, und dann auch ihn gefragt. Ich sitze da also in meiner Lokalredaktion und schreibe über die jüngsten Entwicklungen im Kulturausschuss und plötzlich ist ein Chefredakteur aus Hamburg oder München am Apparat: „Moin Frau Steeg, mir gefallen Ihre szenischen Texteinstiege immer so gut, möchten Sie nicht bei uns im Feuilleton anfangen?“ Ich fand es ärgerlich, dass einem immer wieder gestandene Journalisten sagten, man solle bloß nicht zu groß denken. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: An Lokal- und Regionaljournalismus ist überhaupt nichts weniger groß. Aber wenn man den Traum hat, irgendwann woanders zu schreiben, sollte einem das nicht ausgerechnet von dieser Stelle ausgeredet werden.

Zumal du später ja z.B. auch für die Zeit geschrieben hast.

Und da hatte mich Giovanni di Lorenzo vorher auch nicht persönlich angefragt, so viel kann ich verraten. Der Trick, der gar keiner ist, ist einfach: Themenvorschläge schicken, immer und immer wieder.

Wie genau schlägst du Themen vor? Beziehungsweise wie bekommst du sie gerne vorgeschlagen?

Was meiner Erfahrung nach hilft, auch wenn es ein bisschen aufwendiger ist, sind Kurz- Exposés. Bestenfalls direkt mit Überschrift und Unterzeile. Ein knapper Umriss der Geschichte: Das will ich deshalb erzählen, das sind die Protagonisten, fotografieren könnte man so oder so. Die Geschichte also schon als fertigen Zeitungs- oder Magazintext denken. Alle Beteiligten haben ein gutes Gefühl, wenn der Autor eine konkrete Vorstellung von dem hat, was er schreiben möchte. Mails mit „Man müsste mal über dieses und jenes berichten“ fand ich immer ein bisschen unverschämt.

 Und was tut man am besten, bis einer dieser Vorschläge angenommen wird?

So viel lesen und schreiben, wie man kann. Sich nicht zu schade sein für das Wochenblatt. Oder das kleine Fachmagazin. Hauptsache, man findet jemanden, der mit einem an Texten arbeitet. Und immer dran denken: Die eigenen Träume sind keine „Schlecker“-Filiale, die hat niemand Fremdes leerzuräumen.

 

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