„Kein Einzelfall“: Eine Journalistin wehrt sich gegen Sexismus in Redaktionen

Seyda Kurt

Als Seyda Kurt Redakteurin bei einem Kölner Kulturmagazin wird, trifft sie auf absurde Grenzüberschreitungen und schlichte Ausbeutung von ihrem Verleger. Ein Jahr später hat die 25-Jährige in einem Artikel die Verhältnisse kritisiert, unter denen auch viele andere Journalisten leiden. Ein Gespräch über Sexismus, Streitkultur und Machtstrukturen in den Redaktionen. 

Wenn man deinen Artikel liest, ahnt man: Du hast eine sehr anstrengende Phase hinter dir. Das ist jetzt ungefähr ein Jahr her – wie ging es dir in dieser Zeit? 

Sagen wir es mal so, ich kann inzwischen nachvollziehen, wenn Menschen sagen: Ich war so wütend, dass sich mein Magen zusammengezogen hat. Ich wusste aber schon, dass ich nicht etwas erlebt habe, was ich irgendwie verdient hätte. Und dementsprechend konnte ich das gut für mich verarbeiten und weitermachen. 

Wie lange hast du für den Artikel gebraucht?  

Bestimmt einen Monat. Ich habe viel mit Feedback gearbeitet, von Menschen, die diese Zeit miterlebt haben. 

Du hast zwar keine Namen genannt, aber jeder kann leicht herausfinden, über wen du schreibst. Hattest du keine Bedenken, dass dir das schaden kann? 

Ich habe schon über rechtliche Konsequenzen nachgedacht, aber mir war es wichtiger, das publik zu machen. Und auch wenn ich mit einer sehr persönlichen Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen bin, hatte ich so das Gefühl, dass ich nicht angreifbar bin. Es gab genug Menschen, die mir den Rücken gestärkt haben. Ich habe deswegen keinen Moment gezögert, das zu veröffentlichen, ganz im Gegenteil, ich konnte es kaum abwarten. 

Wie waren die Reaktionen auf den Text? 

Ausschließlich positiv. Es melden sich immer wieder Menschen bei mir, die auch früher für das Magazin gearbeitet und den Text gelesen haben. Sie bedanken sich und berichten von ähnlichen Erfahrungen. Auf Hasskommentare warte ich noch. (lacht

Du schreibst: „Gleich 95% aller Regionalzeitungen werden von einem Mann geführt, der in letzter Instanz entscheiden darf, was sichtbar gemacht werden soll.“ Machen Männer es den Frauen schwer, im Journalismus Erfolg zu haben? 

Foto: Thomas Spies

Foto: Thomas Spies

Ich bin da sehr zwiegespalten. Einerseits hatte ich immer Menschen, die mich gefördert haben. Mein Einstieg in den Journalismus begann mit einem Workshop bei der taz, die ich sehr für ihre Nachwuchsarbeit schätze. Abgesehen von der taz hatte ich aber oft das Gefühl, ich werde so lange gefördert, wie ich nicht mehr fordere, als mir gerade zugestanden wird. Als ich beim besagten Stadtmagazin stellvertretende Chefredakteurin werden sollte, wurde mir das immer vor die Nase gehalten, wenn ich mich nicht so benommen habe, wie von mir erwartet wurde. 

Glaubst du, mehr Frauen in den leitenden Posten würden das Problem lösen?

Ich bin auf jeden Fall für eine Quote, denn es würde den Weg für Frauen vereinfachen, Vorbilder zu haben. Aber nur weil man Frauen oder Menschen mit nicht-deutschen Namen im Team hat, wird die redaktionelle Sicht auf die Welt nicht automatisch diverser. Frauen müssen ja nicht unbedingt feministisch sein. Es gibt auch Frauen aus gutem Hause, die keine Diskriminierungserfahrungen haben, denen der Weg zu allem offen stand, die viele Dinge vielleicht nicht nachvollziehen können. Frauen mit Diskriminierungserfahrungen sind da viel stärkere Repräsentantinnen. 

Das würde bedeuten, auch die alten weißen Männer können zur Diversität beitragen? 

Ja und Nein. Sie können dazu beitragen, dass in ihre Redaktionen junge Menschen mit neuen sozialen Realitäten strömen und Neues produzieren und verbreiten. Diese inhaltlichen Leerstellen können alte weiße Männer nicht selbst füllen. Es gibt Erfahrungen, die sie aufgrund ihrer eigenen Sozialisierung nicht nachvollziehen können. Ich sage immer: Diversität ist nicht nur eine Frage der kulturellen Herkunft, sondern auch der politischen Haltung. In der AfD gibt es etwa viele junge Leute mit Migrationsgeschichte, die akzeptiert werden. Das aber nur, weil sie herrschende Machtstrukturen nicht in Frage stellen und sich bedingungslos anpassen. Ihr Aktivismus macht die Welt nicht besser. Auf der anderen Seite kann es alte, weiße Männer in progressiven Bewegungen geben, die sich dafür einsetzen, dass sich der Gang der Dinge ändert – auch in Redaktionen.

Als ich deinen Artikel gelesen habe, habe ich mich an einen früheren Job erinnert, mit einer ähnlich schrecklichen Chefin. Die allerdings eine Frau war. Hat das Ganze wirklich mit Geschlecht zu tun?  

Ich finde schon. Oft wird mit Sexismus verbunden, dass jemand dir auf den Arsch klatscht oder sagt „Süße, bring mir mal einen Kaffee“. Aber das greift zu kurz. Es gibt einen Text „Und was hat das mit Sexismus zu tun?“. Die Autorin Daria Stocker hat Szenisches Schreiben an der Universität der Künste studiert, an der ich gerade meinen Master mache. Im Text beschreibt sie den Studiengang, der von zwei Männern geleitet wurde. Sie analysiert, wie schon die Gestik von Menschen eine sexistische Grundhaltung widerspiegeln kann. Wie ein Mann in den Raum kommt und den moralisch und diskursiv besetzt. Dieser Text hat mich wohl am stärksten inspiriert. In meinem Artikel spreche ich zwar von einem konkreten Mann, aber auch von Gesamtstrukturen. Denn wer hat darüber bestimmt, welche Frau welche Redaktion leitet? Das waren Männer, sie haben zuvor diesen Raum geschaffen und ihn geprägt. 

Aber ist es nicht eine erfreuliche Entwicklung, wenn Männer für Frauen Platz machen? Irgendwie muss es ja anfangen. Dafür kann man Männer doch schlecht kritisieren oder? 

Keinesfalls. Ich will auch nicht sagen, dass Männer eine aggressivere Arbeitskultur haben als Frauen, und letztere ausschließlich kooperativ und konstruktiv sind. Ich lehne solche grundlegenden Zuschreibungen vollkommen ab. Doch es ist kein Geheimnis, dass seit Jahrzehnten unsere männlichen Vorgänger die Kommunikationskultur sämtlicher Redaktionen und Unternehmen geprägt haben. Viele Frauen und andere junge Leute passen sich dann an eine gewisse Rhetorik, Gestus und an ein Verhalten an, um anerkannt zu werden. Das ist wohl normal. Damit sich irgendwas ändern kann, reichen Einzelkämpfer und -kämpferinnen also nicht aus.  

Machtstrukturen und Menschen, die ihre Macht missbrauchen, hat es schon immer gegeben. Aber es gibt auch viele nette Vorgesetzte. War deine Situation nicht vielleicht ein Einzelfall? 

Ich kenne viele Geschichten von jungen Frauen und auch Männern, denen Ähnliches passiert ist. Alle Fälle haben gemeinsam: Es müssen gewisse Gegebenheiten vorhanden sein, damit sich der Vorgesetzte überhaupt das Recht herausnimmt, so zu handeln, und Menschen um ihn herum nicht dagegen angehen, obwohl jeder weiß, wie er sich zu Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verhält. Klar, kann man sagen, es ist nur ein Mensch, und es gibt zig nette Chefs, die hatte ich auch. Aber das, was um ihn herum möglich ist, zeigt, dass es ein strukturelles Problem von alten Selbstverständlichkeiten ist, und kein Einzelfall.

An bekannte Chefredakteure und Herausgeber wie Augstein oder Nannen erinnert man sich nicht zuletzt wegen ihrer berüchtigten Wutausbrüche. Vielleicht sind wir heute einfach zu politisch korrekt und glattgebügelt und trauen uns nicht mehr, richtig zu streiten? 

Ich bin total d’accord mit einer gewissen Streitkultur. Aber die Frage ist immer: Wozu dient der Streit gerade? Dem Inhalt oder dazu, Machtverhältnisse zu zementieren? Ich habe Redaktionssitzungen erlebt, in denen mein damaliger Chef in vierstündige Monologe verfiel, die einem die Energie geraubt haben. Da kann man noch so gute Ideen haben, am Ende sind alle nur noch erschöpft und haben keine Lust mehr. Und das passiert heute total vielen jungen Menschen. Ganz zu schweigen davon, dass er Herausgeber war, dem eigentlich keine redaktionellen Eingriffe von solcher Tragweite erlaubt sein sollten.

Was ist das Wichtigste, was du aus dieser Zeit gelernt hast? 

Wie wichtig Zuspruch ist. Ich bin total gestärkt rausgekommen, mit dem Wissen, dass ich mich nicht leicht unterkriegen lasse, dass ich für Inhalte einstehen möchte. Aber das hätte auch anders kommen können, wenn Menschen mir gesagt hätten: „Stell dich nicht so an.“ Ein anderes Beispiel: Bei einem anderen Job hat mir mal ein Kollege auf den Arsch gehauen, und der Chef sagte: „Wenn du möchtest, ist der noch heute hier raus.“ Deswegen blicke ich ohne Wut oder Verbitterung auf diese Geschichte zurück, und kann heute sogar darüber lachen. Aber ich kenne Geschichten von Frauen, die keine Unterstützung bekommen haben und immer noch darunter leiden.  

Du hast deinen ehemaligen Chef als jemanden beschrieben, von dem „alle in der Branche wissen, was für ein unangenehmer Zeitgenosse er ist, dessen Autorität dennoch selten in Frage gestellt wird.“ Was sollte sich in den Redaktionen verändern, damit solche Verhältnisse unmöglich werden?

Ein Problem ist für mich die Kultur der Entfremdung der Kollegen und Kolleginnen untereinander, mit Schein-freien beziehungsweise „festen freien“ Mitarbeitern, die tagtäglich in der Redaktion sitzen, sich dennoch nicht bei schlechter Behandlung solidarisieren, weil der Konkurrenzdruck zu hoch ist. Vielleicht braucht es auch einen Vertrauenskollegen oder -kollegin, an die man sich wenden kann. Es würde auch helfen, wenn man sich beim Gedanken: „Ach stell dich nicht so an“ öfter mal hinterfragt, inwiefern das automatisierte Mechanismen sind. Gerade Journalisten und Journalistinnen stehen da in der doppelten Verantwortung, weil wir nicht nur ein Abbild von der Realität erschaffen, sondern diese auch mitprägen, indem wir aussuchen, über welche Themen auf welche Art geschrieben wird. Ich bin da aber ganz optimistisch, dass es sich zum Guten wenden wird (lacht). 

Du hast mal geschrieben, du möchtest gerne selbst Chefin werden. Hast du dir diesen Wunsch erhalten können?

Oh, das hat eine Kollegin über mich geschrieben. Auch wenn ich nicht unbedingt Chefin werde, möchte ich zu den Menschen gehören, die darüber entscheiden, was sichtbar gemacht wird. Ich möchte in einer Redaktion sitzen und verschiedene Sichtweisen und Erfahrungen sichtbar machen: von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, mit Fluchterfahrungen und unterschiedlichen sexuellen Identitäten, die ganz anders auf die Welt schauen.

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